Weniger IPOs in Europa 08.11.2015 15:00:38

Ökosystem Börse in Gefahr

von Didier Le Menestrel, Gastautor von Euro am Sonntag

Betrachtet man die Entwicklung des europäischen Aktienmarktes über die vergangenen 14 Jahre, zeichnet sich zunächst ein positives Bild. Von 2000 bis 2014 ist die Zahl der börsennotierten europäischen Unternehmen im Schnitt um 64 Prozent stark gestiegen. Dieser Zuwachs fiel allerdings fast ausschließlich auf die Jahre 2000 bis 2007, wo das Wachstum bei 90 Prozent lag. Im Umfeld einer weltweit robusten Konjunktur und dynamischer Finanzmärkte prosperierte die Zahl der Börsengänge also. Hinzu kamen positive politische und strukturelle Impulse, um kleinen und mittelgroßen Unternehmen den Zugang zu ­Finanzmärkten zu erleichtern.


Seit dem Jahr 2007 jedoch hat sich die Entwicklung dramatisch gewandelt. Europaweit ist die Zahl der gelisteten Unternehmen um 16,5 Prozent erheblich gefallen. In Großbritannien etwa liegt der Rückgang bei 13 Prozent, in Deutschland bei zwölf Prozent und in Frankreich sogar bei 18 Prozent. Die restlichen europäischen Länder verzeichnen ein Minus von durchschnittlich 19 Prozent. Besonders betroffen von dieser Schrumpf­kur sind die Micro- und Small Caps mit minus 20 Prozent. Diese Entwicklung beginnt bereits, die mittelständischen und großen Unternehmen zu beeinflussen, deren Listings sich um fünf Prozent reduzierten.

Einer der Gründe für diese rückläufige Entwicklung ist im regulatorischen Umfeld zu finden. Hier wurden in den vergangenen Jahren Fehlanreize entwickelt, die sich besonders negativ auf die unteren Börsensegmente auswirken, wie zum Beispiel die Prospektrichtlinie, die Trans­parenzrichtlinie oder MiFid.

Ein weiteres Problem liegt in der stiefmütterlichen Behandlung kleiner und mittlerer Werte durch die Finanzindustrie. Micro- und Small Caps machen 78 Prozent der gelisteten europäischen Unternehmen aus, bilden jedoch nur fünf Prozent der Marktkapitalisierung ab. Das hat strukturelle Konsequenzen: wenig Interesse bei Aktien-Research-Teams und erschwerter Zugang zur Finanzierung über den Kapitalmarkt. Denn das Geschäftsmodell der Finanzindustrie ist in hohem Maße auf Volumina ausgerichtet, wie etwa auf das Transaktionsvolumen bei Brokerhäusern oder das verwaltete Vermögen bei Assetmanagern. Während jährlich etwa 97 Prozent der Transaktionsvolumina auf wenige Hundert mittlere und große Werte entfallen, liegt das Transaktionsvolumen im Massenmarkt der Micro- und Small Caps lediglich bei drei Prozent.


Die wirtschaftlichen Folgen des Schrumpfprozesses bei den kleinen Werten mögen sich kurzfristig aufgrund der Trägheit des Marktes in Grenzen halten. Auf lange Sicht ist diese Entwicklung allerdings besorgniserregend, da sie sich auf die Vitalität und Dynamik des europäischen Finanzmarktes auswirkt. Die Funktionsweise des Aktienmarktes lässt sich mit der demografischen Alterspyramide vergleichen. Verringert sich der Sockel der Pyramide, so schrumpft über kurz oder lang auch die Spitze. Im Laufe der letzten 14 Jahre hat die Zahl der von der Börse ausgeschiedenen Large Caps die der IPOs deutlich übertroffen. Da es im Zeitablauf immer wieder zu einem "natürlichen" Ausscheiden infolge von Übernahmen kommt, ist ein kontinuierlicher IPO-Fluss erforderlich, um den Markt über alle Segmente hinweg zu versorgen.

Regulierung an die unteren
Börsensegmente anpassen

Die rückläufige Zahl der notierten Unternehmen seit 2007 bedroht diese Dynamik. Es besteht die Gefahr, dass sich die Zahl der gelisteten Standardwerte in den kommenden Jahren immer weiter verringert und zwar in einem Tempo, das dem Rückgang bei Micro- und Small Caps von 2007 bis 2014 entspricht. ­Insgesamt würde die Marktkapitalisierung in Europa sinken, mit weiteren Konsequenzen für die Attraktivität und Leistungsfähigkeit der europäischen Finanz­industrie.

Es ist also unerlässlich, die Marktbedingungen für Unternehmen in der zweiten und dritten Reihe wieder zu verbessern, damit der europäische Aktienmarkt für Anleger auch künftig dynamisch und attraktiv bleibt. Dies geht nur, indem die Regulierung an die Bedürfnisse der unteren Börsensegmente angepasst und mehr Anlagegelder hierhin kanalisiert werden.

zur Person:

Didier Le Menestrel, Präsident von
La Financière de l’Echiquier

Le Menestrel ist Gründer und Präsident der französischen Fondsgesellschaft La Financière de l’Echiquier. Das Unternehmen wurde 1991 gegründet, hat sich auf europäisches Stock- und Bond-Picking sowie Nebenwertefonds spezialisiert und zählt mit einem verwalteten ­Vermögen von 8,7 Milliarden Euro zu den führenden unabhängigen Fondsgesellschaften in Frankreich.

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