02.08.2024 18:24:35

Potenzial nach der Wahl

Kolumne

Endlich taucht das erste Tier aus dem Sommerloch: Kein Krokodil im Badesee, kein Tiger im Stadtwald und kein Wildschwein im Löwenkostüm, sondern: Ein Känguru in Norddeutschland. "Herrenlos, aber nicht freudlos", irrt es durch den Landkreis Cuxhaven, schreibt die Abendzeitung. Was genau ihm Freude bereitet, war nicht zu erfahren, vielleicht mag es Fischbrötchen und eine steife Brise. An den Börsen geht es aktuell wie bei vielen Urlaubern Richtung Süden, die Geopolitik schlägt auf die Stimmung, der Dax fällt zum Ende der Woche weit unter die 18.000er Marke. "Deutschland stolpert Euroraum hinterher", benennt die Börsen-Zeitung die aktuelle Lage der Nation und das Handelsblatt legt nach: "Konjunkturflaute zieht sich auch durch das Sommerquartal". Doch es gibt - leider - Dinge, die steigen: "Die Inflation steigt überraschend auf 2,3 Prozent", bemerkt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, und die "Arbeitslosigkeit steigt stärker als saisonal üblich", titelt Die Welt. Die Bank of England hat - endlich, wie viele sagen - die Zinsen gesenkt: "Überfällige Lockerung", mahnt die Börsen-Zeitung.

Neue Welt?

Ob Börse Online den Kursrutsch vom Freitag vorhergesehen hat? Man könnte es fast vermuten bei der mit einem Megaphon unterstrichenen Headline auf dem Titel: "Halber Preis - Doppelte Chance". Nun, halbiert haben sich Dax & Co. zum Glück nicht. Börse Online kündet vorsorglich schon einmal die nächste Rally an mit "100 % Potenzial & nach unten abgesichert" - letzteres dürften Anleger aktuell für ihr Depot erhoffen. "So machen Sie mehr aus 50.000 Euro", verspricht uns Focus Money mit den obligatorischen Geldnotenbündeln auf der Titelseite. Aber wo haben wir gleich noch mal die 50.000 Euro hin? Die erste Million ist bekanntlich die Schwierigste, heißt es mit gutem Grunde. Immerhin deutet Focus Money auch auf den weltpolitischen Hintergrund: "Amerikas Wahl - Chinas Machthunger. Die beste Strategie für Ihr Depot in einer Welt mit neuen Regeln". Darauf fährt Der Aktionär ab, zeigt er doch Rot gegen Blau, Mann gegen Frau, älter gegen jünger, also "Trump vs. Harris - Kampf ums Weiße Haus: Diese Aktien profitieren" auf dem Cover. Fürs Editorial findet Leon Müller noch ein weiteres Gegensatzpaar: "Gut gegen Böse", allerdings mit einem Fragezeichen versehen. Apropos abfahren: Ein weiterer Inhalt des Heftes: "Volle Pulle. Tesla und Co - welche ist die beste Auto-Aktie". Das macht uns neugierig, wir wollen hier nicht zu viel verraten, aber James Bond schätzt das Auto. Euro am Sonntag blickt passend zum Sommer auf die Figur: "Unbekannt, unterbewertet, unglaubliches Potenzial - Die neuen Abnehm-Wunder-Aktien". Bleibt zu hoffen, dass zumindest deren Kurse zunehmen, Wunder können ja auch blau sein.

Kein Grenzverkehr

Die Verspätung der Bahn wird zu einer Art Dauerthema - für Bahnreisende wie für unser Presseecho. Jetzt stellt die Schweiz an der Grenze für deutsche Fernzüge Schilder im Geiste auf: "Wir müssen draußen bleiben". "Wer zu spät kommt, den bestraft die Schweiz", schreibt die Süddeutsche Zeitung. Mehr als jeder zehnte ICE oder EC aus Deutschland muss an der Grenze umkehren, darf nicht weiter fahren. Die einfache wie nachvollziehbare Begründung: Die Schweiz möchte nicht von den Verspätungen der deutschen Züge angesteckt werden, dann würde das eigene Eisenbahnsystem aus dem Gleichgewicht oder besser Gleisgewicht kommen. Die deutschen Fahrgäste "müssen" in Schweizer Züge umsteigen, heißt es in dem Bericht weiter. Angesichts der Situation in manchen deutschen Zügen darf man das "müssen" aber gerne in "dürfen" uminterpretieren. Bleibt zu hoffen, dass das Schweizer Beispiel nicht Schule macht und unsere Nachbarländer - richtig, es sind einschließlich der Helvetier neun - nicht ebenfalls zu diesem drastischen Mittel greifen. Kleiner Nachtrag: Zehn bis fünfzehn Minuten Verspätung dürfen es im Übrigen sein, erst dann klappt die Schweiz die Grenze zu.

Der Schuh des Bankitou

Weiße Turnschuhe zum Anzug gelten bereits seit einiger Zeit als besonders hipp. Sie sollen offensichtlich den Träger der sportlichen Slipper dynamischer, ja geradezu verjüngt erscheinen lassen - glauben zumindest die Besitzer solchen Schuhwerkes und was sind schon Fakten gegen Glauben? Während Unternehmen früher mit Firmenwagen protzten und etwas innovativere das Firmenfahrrad nachschoben, setzen gerade Banken neuerdings auf helle Turnschuhe, gerne noch mit dem eigenen Logo versehen. "Banken machen es vor: Firmenturnschuhe im Trend" schreibt Die Welt dazu. Neben der BayernLB hat jetzt auch die KfW Ipex-Bank Corporate Sneaker produzieren lassen, damit die Banker aus der Export- und Projektfinanzierung der KfW künftig auf so leisen wie sportlichen Sohlen zum Kunden wandeln können.

Ruhe im Sand

Es gibt Begriffe, von denen wir noch nie gehört haben, was eindeutig an unserer Ignoranz oder Unbedarftheit liegen dürfte. Es könnte auch sein, dass wir diese begrifflich umgrenzten Dinge bereits erfahren haben, ohne an ihnen besagtes Schild zu vermuten. Mit dieser etwas umständlichen Einführung wollen wir auf einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung eingehen, der sich mit dem "Quiet Vacationing" befasst. Dem was? Dass wir im Urlaub vor allem Ruhe und Abgeschiedenheit suchen, geschenkt. Denn es geht hier unter der Headline "Urlaub machen, ohne Urlaub zu nehmen", um Arbeitnehmer, die, wenn wir das richtig zusammenfassen wollen, Urlaub während der Arbeit machen? Quasi die Verlegung des Homeoffice an den Strand, ohne dem Arbeitgeber zu melden, dass man nicht am Küchentisch hinter dem Laptop klemmt, während der Kinderbrei auf dem Herd kocht, sondern in der Strandbar lungert, den Aperol Spritz griffbereit. Dazu würden wir gerne einen bekannten Spruch eines Ex-Kanzlers zitieren: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt".

Ulrich Kirstein ist Pressesprecher der Börse gettex. Der Betriebswirt und Kunsthistoriker schreibt über Literatur und Börse, interviewt alle 14 Tage in Börse am Donnerstag den Leiter Marktsteuerung und hat u.a. mit Christine Bortenlänger Börse für Dummies und Aktien für Dummies verfasst.

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