27.05.2019 16:47:41
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ROUNDUP: CDU und SPD wollen Niedergang stoppen
BERLIN (dpa-AFX) - Nach den historischen Wahlpleiten für Union und SPD haben die Spitzen der großen Koalition zwar Fehler eingeräumt, personelle Konsequenzen soll es aber erstmal nicht geben. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erhielten am Montag trotz massiver Stimmverluste bei der Europawahl in ihren Parteigremien Rückendeckung. Union und SPD wollen die große Koalition zunächst weiterführen, aber gleichzeitig ihr Profil schärfen - vor allem beim Klimaschutz.
Die großen Wahlsieger, die Grünen, lehnen eine Debatte über einen eigenen Kanzlerkandidaten ab. Sie hätten die Wahlen nicht gewonnen, um "um uns selbst zu kreisen", sagte Parteichef Robert Habeck. In Bremen halten sie sich offen, mit wem sie nach der Wahl des Landesparlaments regieren wollen: mit CDU und FDP oder mit SPD und Linken. Die AfD freute sich über ihre guten Ergebnisse im Osten vor den drei Landtagswahlen, die dort im Herbst anstehen. "Was man an dem Ergebnis sieht, ist leider eine Spaltung Deutschlands", sagte Parteichef Alexander Gauland.
Die SPD-Vorsitzende Nahles schloss einen Rücktritt aus: "Die Verantwortung, die ich habe, spüre ich, die will ich aber auch ausfüllen." Die Europawahl und die Wahl in Bremen am Sonntag seien allerdings eine Zäsur gewesen. "Das fühlt sich auch so an." Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, Nahles solle Partei- und Fraktionschefin bleiben. "Sie ist es, sie bleibt es. Und sie soll es auch bleiben." Die SPD war bei der Europawahl auf 15,8 Prozent abgestürzt und in Bremen erstmals seit über 70 Jahren hinter die CDU zurückgefallen.
Die SPD-Chefin erklärte, in der Analyse des Parteivorstands sei mehrfach der Satz gefallen: "Die 15 Prozent, die wir jetzt haben, sind auch in den letzten 15 Jahren entstanden." Die SPD hat seit 2005 mit einer Unterbrechung dreimal mit der Union in einer großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) regiert.
Drei führende Vertreter des linken SPD-Flügels forderten einen Kurswechsel. "Wir bekennen uns (...) ohne Wenn und Aber zum Ziel, in Zukunft ein progressives Bündnis links der Union anzuführen und dies in Wahlkämpfen auch zu vertreten", schrieben SPD-Vize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und Fraktionsvize Matthias Miersch in einem Positionspapier.
Nahles sagte jedoch, die geplante Halbzeitbilanz der großen Koalition werde wohl nicht vorgezogen. "Das wurde heute doch mehrheitlich skeptisch eingestuft." Bei einer Klausurtagung am kommenden Montag solle diskutiert werden, was die SPD sich von dieser Halbzeitbilanz erwarte. Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag auf Drängen der Sozialdemokraten eine Revisionsklausel zur Halbzeit der Wahlperiode - im Herbst 2019 - verankert.
Kramp-Karrenbauer räumte ein: "Zu diesem Ergebnis haben als allererstes eigene Fehler geführt." Es sei der Union nicht gelungen, in der Wahlkampagne eigene Kompetenzthemen in den Mittelpunkt zu stellen. Zudem sei die Regierungsarbeit im vergangenen Jahr durch den unionsinternen Streit überlagert worden, in diesem Jahr durch Konflikte mit der SPD. Sie beklagte zudem, dass sich der Eindruck verfestigt habe, die CDU habe einen Rechtsruck vollzogen. Dies sei falsch. Auch die Junge Union sei nicht nach rechts gerückt.
In einer Wahlanalyse, die von der Bundesgeschäftsstelle in der Wahlnacht an Mitglieder des Bundesvorstands versandt wurde und der "Welt" vorlag, heißt es: "Die Serie der Unentschlossenheit im Umgang mit Phänomenen wie "Fridays for Future" und plötzlich politisch aktivierten Youtubern sowie vor allem der vorübergehende tiefe Einschnitt in der Wahrnehmung der CDU bei jüngeren Zielgruppen durch die Debatten zu den "Uploadfiltern", einem vermeintlichen "Rechtsruck" bei der JU sowohl die medial sehr präsente, sogenannte "Werte-Union" führten gleichzeitig zu einer deutlichen Abkehr unter 30-jähriger Wählerinnen und Wähler."
Kramp-Karrenbauer sagte, man habe sich nun einen Zeitrahmen von rund eineinhalb Jahren gesetzt, in dem sich die CDU verbessern müsse. "Wir werden daraus unsere Schlüsse ziehen." Beim Bundesparteitag im Spätherbst 2020 solle das Grundsatzprogramm neu erstellt und die Frage der Kanzlerkandidatur geklärt werden.
Nach dem vorläufigen Ergebnis für Deutschland bleibt die Union zwar stärkste Kraft, rutscht aber um 6,5 Prozentpunkte auf 28,9 Prozent. Die SPD verliert 11,5 Punkte und landet bei 15,8 Prozent. Die Grünen verdoppeln mit 20,5 Prozent ihr EU-Ergebnis. Die AfD bleibt mit 11,0 Prozent etwas unter den Erwartungen. Die FDP fällt mit 5,4 Prozent weit hinter ihr Bundestagsergebnis von 10,7 Prozent. Auch die Linke schwächelt mit nur 5,5 Prozent.
Eine große Rolle hat offensichtlich das Thema Klimaschutz gespielt: Die Grünen gewinnen von SPD und Union jeweils mehr als eine Million Wähler. Bei Wählern unter 60 und in den Metropolen werden sie stärkste Kraft. In jenen Ost-Ländern dagegen, in denen im Herbst gewählt wird, spielen sie nur eine untergeordnete Rolle: In Sachsen und Brandenburg ist die AfD stärkste Partei, in Thüringen zweitstärkste.
Der Chef des Unions-Mittelstands, Carsten Linnemann (CDU), forderte tiefgreifende Konsequenzen. "Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren. Es ist Alarmstufe Rot", sagte Linnemann. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verlangte angesichts der Erfolge der AfD im Osten eine differenzierte Reaktion seiner Partei. "Die Themen, die in einigen Teilen der alten Bundesländer für einen Höhenflug der Grünen gesorgt haben, haben in den neuen Ländern zu großen Sorgen geführt", sagte er.
Eine größere Kabinettsumbildung soll es erstmal nicht geben - außer dem vorgesehenen Wechsel im Justizressort. "Weitere Kabinettsumbesetzungen stehen nicht an", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Justizministerin Katarina Barley (SPD) bat Merkel am Montagmorgen offiziell um ihre Entlassung. Die Kanzlerin habe sie gebeten, das Ministerium so lange zu leiten, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin vereidigt sei, sagte ein Sprecher Barleys. Sie wechselt als SPD-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl ins Europaparlament. Als mögliche Nachfolgekandidatin wurde unter anderem die Justizexpertin und SPD-Fraktionsvize Eva Högl gehandelt./hot/DP/he
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