21.03.2014 21:13:59

Schwäbische Zeitung: Erdogan ist gescheitert

Ravensburg (ots) - Recep Tayyip Erdogan ist zweifellos ein Mann mit außerordentlichen Fähigkeiten. Der türkische Ministerpräsident beherrscht die Klaviatur des Machtpolitikers wie wenige. Alle Proteststürme im Inland hat er überstanden, alle Mahnungen und Warnungen aus dem Ausland konnte er folgenlos in den Wind schlagen. Gescheitert ist er dennoch. Denn konservativer Islam und großtürkischer Nationalismus passen auf Dauer nicht zu einer Gesellschaft, deren Ziel erklärtermaßen die Europäische Union sein soll. Die Minderheit der Türken, die gegen Erdogan aufmuckt, hat dies erkannt, er aber will sie mundtot machen. Dem sollte auch die Sperrung des Kurznachrichtendienstes Twitter dienen - eine gleichermaßen rabiate wie hilflose Aktion. Denn da will einer den sprichwörtlich entwichenen Geist in die Flasche zurückdrängen. So richtig hat das aber noch nie und nirgends geklappt.

Allerdings: Noch kann Erdogan seine zahlreichen Anhänger mobilisieren, ja: aufpeitschen und fanatisieren. Aber zu welchem Preis? Der zunehmend despotische Regierungschef riskiert eine dauerhaft zerrissene türkische Gesellschaft. Er nimmt eine Entfremdung seines Landes von Europa ebenso in Kauf wie den Verlust seiner Glaubwürdigkeit bei den europäischen Partnern. Wer nimmt ihm denn dort noch die Rolle des demokratischen Modernisierers ab? Erdogan scheint jedoch finster entschlossen, diesen Gesamtpreis zu zahlen, um nur an der Macht bleiben zu können. Dass sich der einstige Verbündete und heutige Staatspräsident, Abdullah Gül, immer deutlicher distanziert, ist immerhin ein gutes Zeichen.

Im Übrigen: Speziell Deutschland muss ein großes Interesse an stabilen Verhältnissen in der Türkei haben. Die meisten der fast drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland haben enge Bindungen zur früheren Heimat. Es wäre in vielerlei Hinsicht schlimm, wenn sich der Machtkampf am Bosporus auch hier niederschlagen würde. Einen Vorgeschmack hat es vergangenes Jahr während der Proteste auf dem Tahir-Platz schon gegeben.

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