19.07.2020 14:04:40
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Tönnies will Lohnerstattung durchsetzen - Gemüsehof in NRW isoliert
(Neu: Weitere Details)
BIELEFELD (dpa-AFX) - Trotz heftiger Kritik will Fleischproduzent Clemens Tönnies Lohnkostenerstattung wegen der behördlichen Schließung seines Hauptwerks durchsetzen. Notfalls will der Chef des größten deutschen Schlachtkonzerns das juristisch durchfechten. "Darüber wird im Zweifelsfall auch Recht gesprochen werden", sagte er dem "Westfalen-Blatt" (Samstag).
SPD-Bundestagsfraktionsvize Katja Mast sagte der dpa, Tönnies fehlten Einsicht und Gespür für Anstand und Verantwortung. "Was Tönnies macht, unterstreicht einmal mehr: Gesetzesverschärfungen sind dringend nötig und müssen kommen. Und das werden sie."
Tönnies und mehrere Subunternehmer hatten bereits vor einiger Zeit Anträge auf Erstattung von Lohnkosten durch das Land NRW gestellt. Unter anderem hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) dieses Vorgehen kritisiert. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) geht davon aus, dass Tönnies keinen Regress für die vierwöchige Zwangspause nach massenhaften Corona-Infektionen im ostwestfälischen Stammwerk geltend machen kann.
Tönnies hielt im Interview dagegen, er wolle verhindern, dass seine Mitarbeiter und Dienstleister bei der Verteilung von Quarantänehilfen "stigmatisiert" würden. "Manch einer hat einen politischen Feldzug gegen Tönnies geführt und dagegen wehren wir uns jetzt auch."
Bei Tönnies hatten sich rund 1400 Arbeiter nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Vorübergehend waren deshalb, neben der inzwischen aufgehobenen Betriebsschließung in Rheda-Wiedenbrück, weitgehende Corona-Einschränkungen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf verhängt worden.
Eine Allgemeinverfügung des Kreises Gütersloh, wonach alle Tönnies-Mitarbeiter und deren Haushaltsangehörigen in Quarantäne bleiben mussten, lief am Wochenende aus. Wer keine konkrete Einzelverfügung für eine häusliche Quarantäne habe, dürfe seine Wohnung wieder verlassen, teilte die Stadt Rheda-Wiedenbrück mit. Für den Tönnies-Betrieb blieben verschärfte Hygiene-Schutzmaßnahmen aufrechterhalten, "solange eine pandemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt".
In NRW weisen laut einer Liste des Landesgesundheitsministeriums 15 Städte und Kreise vierstellige Fallzahlen auf: darunter Köln, Düsseldorf, Duisburg, Dortmund sowie die Kreise Heinsberg, Gütersloh und Borken. Im Kreis Borken steht ein Gemüsehof nach einem Corona-Ausbruch im Fokus der örtlichen Behörden. Dort arbeiten den Angaben zufolge vorwiegend rumänische Beschäftigte, die auch auf dem Betriebsgelände wohnen.
Die Mitarbeiter dürften das Betriebsgelände vorerst nicht verlassen, teilte der Kreis mit. Derzeit seien aber erst 88 von 148 Abstrichproben ausgewertet - mit zunächst 8 positiven Ergebnissen. Zu Wochenbeginn würden weitere Befunde erwartet; eine erneute Testung der gesamten Belegschaft sei geplant.
Landesweit kletterten die Gesamtinfektionszahlen in NRW über das Wochenende wieder leicht nach oben: nach Statistiken des Gesundheitsministeriums zwischen Freitag und Sonntag um 314 auf über 46 000 seit Beginn der Pandemie. Davon sind die weitaus meisten den Angaben zufolge wieder genesen. Mehr als 1700 Menschen mit Coronavirus sind in NRW gestorben. Nur Bayern hat im Ländervergleich höhere Fallzahlen (49 710) und Todesfälle (2616) zu beklagen als das einwohnerstärkste Bundesland NRW.
Am Flughafen Köln/Bonn können sich seit dem Wochenende Reiserückkehrer für 90 Euro pro Person auf das Coronavirus testen lassen. Urlaubern aus Risikoländern bleibt bei einem negativen Ergebnis, das innerhalb von 24 Stunden vorliegen soll, die Quarantänepflicht erspart.
Bei Tönnies wird unterdessen am Montag der Probebetrieb in der Zerlegung fortgesetzt. Sollte dies unter Einhaltung eines neuen Hygienekonzepts erfolgreich sein, soll eine zweite Schicht einsetzt werden. Am Donnerstagabend hatten die Behörden auch die letzte Verfügung aufgehoben und das Zerteilen von Schweinen erlaubt.
Der Konzernchef sieht keine schuldhaften Versäumnisse für die Lage in seinem Betrieb. "Wir haben uns immer an Recht und Gesetz gehalten", versicherte Tönnies. "Wir wissen bis heute nicht, welchen Rechtsbruch wir begangen haben sollen", sagte er dem "Westfalen-Blatt". Der massenhafte Corona-Ausbruch in seinem Werk habe "nichts mit Werkvertragsarbeit oder den Wohnverhältnissen zu tun", sondern vor allem mit der "Umluftkühlung, die eigentlich jeder Betrieb hat".
Dennoch wolle er sich künftig um die Lage seiner osteuropäischen Beschäftigten kümmern: "Wir wollen, dass 30 Prozent der Mitarbeiter, die heute nicht privat wohnen, zu einem vorgegebenen Standard wohnen können." Bis September werde er zudem "in einem ersten Schritt" 1000 bisherige Werkvertragsarbeitnehmer fest anstellen, kündigte Tönnies an. Rücktrittsforderungen wies der 64-Jährige zurück: "Nein, der Kapitän gehört bei rauer See auf die Brücke, nicht in die Koje."/beg/DP/zb
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