19.09.2016 15:40:46
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UPDATE/Merkel gesteht Fehler in Flüchtlingspolitik ein
--Nach CDU-Schlappe bei Wahl in Berlin
--"Wir schaffen das" hat ausgedient
--Kurswechsel jedoch nicht geplant
(NEU: durchgehend mehr Merkel)
Von Stefan Lange
BERLIN (Dow Jones)--Nach dem historisch schlechten Abschneiden der CDU bei den Landtagswahlen in Berlin hat Kanzlerin Angela Merkel einen Teil der Verantwortung übernommen. Die gestrige Wahl habe für die CDU "ein sehr unbefriedigendes, ein sehr enttäuschendes Ergebnis gebracht", sagte Merkel am Montag in Berlin. Sie übernehme selbstverständlich "den Teil der Verantwortung, der bei mir liegt".
Die Regierungschefin räumte in diesem Zusammenhang vor allem Fehler in der Flüchtlingspolitik ein. Personelle Konsequenzen im Bund schloss sie aus. Zu einer erneuten Kandidatur als Kanzlerin oder Parteivorsitzende äußerte sich Merkel nicht.
Die CDU hatte am Sonntag in Berlin fast 6 Punkte verloren und war bei 17,6 Prozent der Stimmen gelandet. Die große Regierungskoalition ist damit beendet, da auch die SPD mit fast 7 Punkten dramatisch auf 21,6 Prozent verlor. Das CDU-Ergebnis sei "sehr bitter", sagte Merkel.
Stärker raus als rein Zur Erklärung des schlechten Wahlergebnisses in Berlin und auch zuvor in Mecklenburg-Vorpommern hob Merkel einzig auf ihre Flüchtlingspolitik ab. Ihr Satz "Wir schaffen das" sei so oft zitiert und missinterpretiert worden, "dass ich ihn kaum noch wiederholen mag", sagte Merkel. Sie brachte stattdessen ein Motto in die Debatte ein, das sie bereits bei der Eurokrise benutzt hatte: Deutschland werde aus der Flüchtlingskrise besser herauskommen, als es hineingegangen sei.
Ihre spontane Entscheidung, im Herbst 2015 Flüchtlinge ins Land zu lassen, sei damals richtig gewesen, sagte Merkel. Sie habe aber dazu geführt, "dass wir einige Zeit nicht die volle Kontrolle hatten". Sie arbeite nun dafür, dass sich das nicht wiederhole. "Die Wiederholung der Situation will niemand, auch ich nicht."
"Das war nicht gut" Sie habe sich in der Flüchtlingskrise sehr lange auf die Regeln des Dublin-Abkommens verlassen, sagte die CDU-Vorsitzende. "Das war nicht gut", gab sie zu und erklärte, wenn sie könnte, würde sie viele, viele Jahre zurückspulen und die Weichen anders stellen.
Insgesamt seien in der Flüchtlingskrise durchaus Fortschritte gemacht worden, sagte Merkel. Sie räumte gleichzeitig aber auch ein, dass in den vergangenen Jahren "weiß Gott nicht alles richtig gemacht" worden sei. "Wir müssen uns jetzt gleichsam selbst übertreffen. Auch ich", sagte Merkel.
Es sei schon "sehr vieles" erreicht worden, erklärte die Kanzlerin, sie wisse aber, "dass es an vielen Stellen noch hakt". So dauerten die Asylverfahren oft noch zu lange, die Unterbringung sei nicht immer befriedigend gelöst, das gelte auch für die Integration in den Arbeitsmarkt.
Keine Obergrenze "Gibt das alles nun Anlass, meinen Kurs in der Flüchtlingspolitik ganz oder teilweise zu korrigieren?", stellte Merkel bei einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus in den Raum. Und beantwortete diese Frage selbst im Grundsatz mit einem Nein.
Wenn sie wüsste, welche Kurskorrekturen sich die Menschen wünschten, "wäre ich gerne bereit, darüber zu sprechen", erklärte Merkel. Wenn die Menschen aber einfach nur dafür seien, dass keine Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, dann stehe dem das Grundgesetz, das ethische Fundament der CDU, aber auch "ihre persönliche Überzeugung" entgegen. "Diesen Kurs kann die CDU nicht mitgehen", sagte Merkel.
Die Kanzlerin sprach sich dabei erneut gegen die von der Schwesterpartei CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr aus. Sie werde jedoch dafür kämpfen, den "unkontrollierten Zuzug" einzudämmen.
Mängel in der EU Die Zahl der Flüchtlinge sei auch durch das EU-Türkei-Abkommen bereits eingedämmt worden, sagte Merkel. Es sei "aber gar nicht gut", wie die EU insgesamt in der Flüchtlingsfrage aufgestellt sei. Man müsse etwa beim Thema Verteilung der Flüchtlinge nun die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen, "und dass das noch nicht gelungen ist, das beschwert auch mich".
Sie werde mit ihrem Vorgehen niemanden überzeugen, der ausdauernd "Merkel weg" schreie, sagte die Kanzlerin. Es gebe das Gefühl einiger Menschen, dass sie Deutschland in die Überfremdung treibe, dass Deutschland ihretwegen bald nicht mehr wiederzuerkennen sei.
"Nun wäre es unlogisch, dies mit Fakten zu kontern, auch wenn ich sofort in der Lage wäre, das herunter beten zu können", sagte Merkel. Sie wolle der Kritik deshalb ihrerseits mit einem Gefühl begegnen: "Ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser zugegeben komplizierten Phase besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind". Deutschland werde sich verändern, "es wird sich aber in seinen Grundfesten nicht erschüttern lassen".
Die Flüchtlingsfrage sei "ein stark auslösendes Moment" für den Ausgang der letzten Landtagswahlen gewesen, sagte Merkel. Es gebe aber auch eine Vielzahl anderer Gründe, zum Beispiel die Angst vor dem demografischen Wandel.
AfD-Wähler mitnehmen Auf das starke Abschneiden der AfD - sie holte bei der Wahl in Berlin 14,2 Prozent - ging Merkel erst auf Nachfrage ein. Man werde sich um die Wähler der Alternative für Deutschland "selbstverständlich bemühen", wie auch um die Wähler anderer Parteien, sagte sie.
Personelle Konsequenzen im Bund schloss Merkel aus. Die Frage nach einer erneuten Kandidatur beantwortete sie einmal wieder mit dem Hinweis, dass der richtige Zeitpunkt für eine Antwort darauf noch nicht gekommen sei.
Die CDU hält Anfang Dezember in Essen ihren Bundesparteitag ab. Die CDU-Spitze steht dabei zur Wahl. Es wird erwartet, dass sich Merkel dann sowohl zum Parteivorsitz als auch zur K-Frage erklärt.
Kontakt zum Autor: stefan.lange@wsj.com
DJG/stl/smh
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September 19, 2016 09:07 ET (13:07 GMT)
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