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25.06.2016 17:01:40

Vermutungen und Befürchtungen: Unsicherheit nach Brexit-Votum lähmt

BERLIN (dpa-AFX) - Nichts hasst die Börse so sehr wie Unsicherheit. Lieber eine schlechte Nachricht, auf die man sich verlassen kann. Abhaken und nach vorne schauen. Der Realwirtschaft geht es nicht viel anders: Auf welcher Grundlage sollen Entscheidungen zu millionenschweren Investitionen oder Tausenden von Arbeitsplätzen getroffen werden? Nach dem Brexit-Votum vom Donnerstag ist aber noch völlig unklar, wie das Verhältnis von Großbritannien zur Europäischen Union künftig aussehen wird. Und wie lange das Ausverhandeln dauern wird.

Forderungen nach einem schnellen Abschied Großbritanniens aus der EU ohne Zugeständnisse stehen im Raum. So will etwa der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, einen klaren Schnitt. "Brexit heißt: Ihr seid raus", sagt der Ökonomn und setzt hinzu: "Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Europäer ist, den Briten einen guten Deal zu geben."

Bei einer umfassenden, schnellen Trennung würde nicht nur Klarheit für die Wirtschaft geschaffen, ein "harter Brexit" soll auch mögliche Nachahmer abschrecken. Denn es besteht die Gefahr, dass andere Länder mit einer Austrittsdrohung ebenfalls versuchen könnten, für sich günstigere Regelungen herauszuholen. Auch der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, fordert daher Härte gegenüber London. "Viele Dinge müssen neu verhandelt werden. Dabei dürfte schon klar sein, dass die EU gegenüber Großbritannien nicht allzu nachgiebig sein darf, um nicht einen Trend zum Rosinenpicken in Gang zu setzen", betont Schmidt in der "Rheinischen Post".

Doch es gibt auch andere Stimmen. So mahnt der Internationale Währungsfonds, das Tischtuch nicht vollends zu zerschneiden. Nach Ansicht des IWF sollte es einen "sanften Übergang" in eine neue wirtschaftliche Beziehung geben. Ähnlich sieht das der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen", meint er. Dazu gehöre, dass Großbritannien so weit wie möglich Teil des EU-Binnenmarktes bleibe.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht das ähnlich und verweist dabei auf das Beispiel Norwegen, das als Nicht-EU-Land auch Zugang zum EU-Binnenmarkt hat. "Die EU darf jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielen", mahnt Krämer. Schließlich sei Großbritannien der zweitwichtigste Handelspartner der EU - nach den USA und vor China.

Das Abkommen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist Grundlage einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der EU mit den Nicht-EU-Ländern Norwegen, Liechtenstein und Island. Es regelt den freien Warentausch, die Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer, freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Wegen der umfassenden Rechte und Pflichten beider Seiten wird auch von einer "vertieften Freihandelszone" gesprochen.

ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski gibt sich mit Blick auf die Gespräche zwischen Großbritannien und der EU aber illusionslos. "Es steht ein langer, schwieriger und dreckiger Scheidungsprozess an", befürchtet er. Das wäre für die Konjunktur Gift. Entscheidungen über Investitionen würden auf die lange Bank geschoben, Verbraucher die Konsumausgaben zurückfahren. Wer gibt schon Geld aus, wenn er nicht weiß, ob er morgen noch im Job ist. Bleibt der Appell von Ifo-Chef Fuest: "Es ist wichtig, die Verhandlungen möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt."/hgo/DP/he

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