24.11.2013 19:30:26

WAZ: Eine historische Einigung. Kommentar von Martin Gehlen

Essen (ots) - So aufsehenerregend das Interimsabkommen von Genf ist, es bedeutet noch lange nicht die Lösung des vertrackten Atomproblems. So liegt der Wert der Übereinkunft vor allem in seinem beträchtlichen historischen Potenzial, wenn man bedenkt, dass hohe US-Diplomaten bis vor Kurzem noch ihren iranischen Gesprächspartnern ironisch einen im Erbgut verankerten Hang zur Unehrlichkeit attestierten. Der gesamte internationale Status des Iran ist seit Jahren an den Atomkonflikt gekettet. Ließe sich dieses Hemmnis aufsprengen, geriete erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten auch eine Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen den USA und Iran ins diplomatische Blickfeld. Eine Entspannung im Verhältnis zur EU wäre ebenso möglich wie eine Milderung der erdrückenden Sanktionen, die das 76-Millionen-Volk an den Rand der wirtschaftlichen Verzweiflung gebracht haben. Gleichzeitig würde eine langfristige Einigung die gesamte Machttektonik des Nahen und Mittleren Ostens verändern. Das wissen Israel und die Golfstaaten mit Saudi-Arabien an ihrer Spitze. Israel fühlt sich zu Recht vom Iran in seiner Existenz bedroht. Die arabischen Anrainer wiederum haben dem persischen Kontrahenten trotz ihres sagenhaften Ölreichtums kulturell und zivilisatorisch noch nie Paroli bieten können. Ohne das eiserne, westliche Sanktionsregime wären sie in ihrem jahrzehntelangen Kalten Krieg gegen die schiitische Regionalmacht schon längst unterlegen. Insofern trägt die internationale Gemeinschaft bei ihren Verhandlungen auch hohe Verantwortung für die Nachbarn des Iran. Der schwierigste Teil der Strecke liegt damit noch vor den diplomatischen Unterhändlern. Denn das endgültige Abkommen, das bis Ende April nächsten Jahres ausgehandelt werden soll, muss definitive Garantien der Islamischen Republik enthalten, seine verdächtigen und zwielichtigen Atompläne aufzugeben. Dazu müssen die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland Teheran möglichst harte Einschnitte und enge Kontrollen der Atominspekteure abverlangen. Denn werden die internationalen Sanktionen erst einmal substanziell gelockert, lassen sie sich auf absehbare Zeit nicht wieder zu der heutigen Druckkraft aufbauen.

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