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30.06.2013 19:32:58

Westdeutsche Zeitung: Präsident Mursi hat das Land am Nil tief gespalten = von Anja Clemens-Smicek

Düsseldorf (ots) - Kein Ort schien vor einem Jahr besser geeignet, die ägyptische Zeitenwende zu symbolisieren als der Tahrir-Platz in Kairo. Bedeutet er doch auf Arabisch so viel wie "Befreiung". Diese Hoffnung der Menschen hatte Mursi an die Macht gespült. Demokratie statt Diktatur lautete die Losung. Doch zwölf Monate nach Mursis Amtsantritt kann von einem prosperierenden Ägypten nicht die Rede sein. Von seinem Versprechen, der "Präsident aller Ägypter" zu sein, ist nichts übrig geblieben. Tief gespalten steht das Land am Nil am Rande eines Bürgerkriegs. Nun kann man den Ägyptern nicht einmal einen Vorwurf machen, dass sie vor einem Jahr einen Mann wählten, den sie heute zum Teufel jagen wollen. Euphorisiert vom Gedanken, erstmals frei wählen zu dürfen, waren sie in die über Jahre ausgelegte Falle der Muslimbrüder getappt. In der Ära Mubarak hatten die Islamisten ein soziales Netzwerk aufgebaut und sich als Retter der Armen gezeigt - um von ihren wahren Absichten abzulenken: Ägypten einmal zu einer "Islamischen Republik" zu machen. Da sind sie leider auf einem guten Weg. Von Demokratie halten sie nichts, sie haben keine Idee, wie sie das bankrotte Land aus der Krise führen wollen. Einen Vorwurf kann man dem Westen machen, der sich still und leise mit den Machthabern arrangiert hat. Weil Ägypten als Stabilitätsfaktor und Vermittler in einer brandgefährlichen Region gilt. Die Staatengemeinschaft will nicht zugeben, dass sie ein ernstes Problem hat mit all diesen jungen vermeintlichen Demokratien, die aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen sind. So wird nur zwischen "gemäßigten" und "radikalen" Islamisten unterschieden. Partner auf Augenhöhe sind weder die einen noch die anderen. Dennoch pumpt allein die EU Milliarden Euro in die Verbesserung der Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte in Ägypten. Auch dunkle Kanäle werden sich wohl über den Geldsegen freuen. Ein Sturz Mursis oder Neuwahlen dürften aber kaum die Rettung bringen. Die Opposition hat bislang keine Persönlichkeit hervorgebracht, die die Probleme in den Griff und die Spaltung der Gesellschaft überwinden könnte. So trudelt Ägypten immer weiter in Richtung Abgrund. Der Arabische Frühling ist direkt in einen tiefen Winter übergegangen.

Originaltext: Westdeutsche Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/62556 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_62556.rss2

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