23.11.2023 15:02:00
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Wifo-Chef: Keine Lehrbuch-Lösung für Metaller-KV-Verhandlungen
Für Wifo-Chef Gabriel Felbermayr gibt es für die heuer "besonders schwierigen" Lohnverhandlungen in der Metallbranche keine Lehrbuch-Lösung. "Diese Verhandlungen sind Verteilungskämpfe, da gibt es nicht die Empfehlung der Wirtschaftswissenschaften", sagte Felbermayr am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten in Wien. Erneut sprach sich der Wifo-Direktor für eine Adaptierung der in Österreich verwendeten Benya-Lohnformel aus.
Bei der Benya-Formel - benannt nach dem langjährigen ÖGB-Präsidenten Anton Benya (1963-1987) - ist die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate plus das durchschnittliche Produktivitätswachstum der Ausgangspunkt für die Kollektivvertragsverhandlungen. Felbermayr empfiehlt die Inflationsrate der vergangenen drei Monate für die KV-Verhandlungen heranzuziehen. Durch die Verwendung der rollierenden 12-Monate-Inflationsrate würden die Gehälter und Löhne erst mit Zeitverzögerung an die aktuelle Teuerung angepasst und der Staat sei unter Zugzwang mit Anti-Teuerungsmaßnahmen auszuhelfen, sagte der Wifo-Chef. Für eine adaptierte Benya-Formel brauche es aber einen Übergangsmechanismus. Der einjährige KV-Abschluss sollte laut dem Ökonomen beibehalten werden und nicht auf zwei oder drei Jahre ausgedehnt werden.
Eine Empfehlung hat der Wifo-Direktor dennoch für die Metaller-Arbeitgeberverhandler und die Gewerkschaft. Wenn man heuer beim Abschluss "ein bisschen unter der rollierenden Inflation" von 9,6 Prozent bleibe, dann könne man dies 2024 "verpflichtend draufschlagen". Auch einen Teil der Lohnerhöhung in Arbeitszeitverkürzung oder mehr Urlaub umzuwandeln sei wohl Thema am Verhandlungstisch. "Das Wifo sagt aber nicht, akzeptiert Reallohnverluste", sagte der Wirtschaftsforscher in Richtung der Gewerkschaften.
Die aktuelle Auftragslage in der Industrie ist für Felbermayr "tatsächlich nicht gut". "Das wird aber rhetorisch überhöht". Die Metallbranche habe die "Inflation nicht verursacht" und leide unter gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten. Bei den KV-Verhandlungen könne "die Kassenlage der Unternehmen aber kein Argument sein", so der Wifo-Chef. "Dann hätte man nicht so viel ausschütten dürfen, es ist kein Problem der Liquidität."
Das Wifo geht in seiner Oktober-Konjunkturprognose für 2023 und 2024 von durchschnittlichen KV-Erhöhungen in Höhe der rollierenden Inflation aus. Heuer soll die Wirtschaftsleistung in Österreich um 0,8 Prozent schrumpfen und im kommenden Jahr um 1,2 Prozent wachsen. Für Felbermayr gibt es mehrere Gründe, warum die aktuellen KV-Verhandlungen komplizierter sind als zuvor. Die Coronakrise, der Ukraine-Krieg sowie hohe Energiepreise und Rekordinflation haben Österreich ärmer gemacht. Die Kaufkraft pro Kopf gemessen am BIP im vierten Quartal 2023 liege noch unter 2019-Niveau, auch weil 3 Prozent mehr Menschen in Österreich leben. "Der pro Person zur Verfügung stehende 'Kuchen' ist kleiner geworden, Verteilungskämpfe sind schwieriger", so der Wifo-Chef.
Die exportorientierte Industrie müsse nun die hohe Inflation "ausbaden" und könne die Teuerung bei ihren Produkten nicht so leicht weitergeben, wie etwa der Dienstleistungssektor (u.a. Tourismus, Gastronomie) oder der Handel, so Felbermayr. Hohe Gehaltsabschlüsse im Dienstleistungsbereich werden laut Wifo-Direktor langfristig in Österreich zu einer höheren Inflationsrate als in der Eurozone führen. "Das macht mir Bauchschmerzen." In einer Währungsunion bedeute dies "a la longue" eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit für Österreichs Unternehmen und Marktanteilsverluste.
In der Metallindustrie dauern die Streiks an, morgen soll dann in Wien vor dem Betrieb von Chefverhandler Stefan Ehrlich-Ad�m gestreikt werden. Er ist Boss des Sicherheitstechnik-Herstellers EVVA und hatte erst gestern den Gewerkschaften vorgeworfen, die streikenden Arbeiter dazu zu instrumentalisieren, dass sie für Besserverdienende streiken. Vor Ort werden morgen ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und AK-Präsidentin Renate Anderl das Wort ergreifen.
Gestern hatte sich Christian Knill, Obmann des Fachverbandes der Metalltechnischen Industrie (FMTI), vor Journalisten darüber beschwert, dass die Proteste der Gewerkschaften PRO-GE und GPA bis ins Persönliche gehen würden und gerade er und Ehrlich-Ad�m im Fokus stehen würden. Die achte Verhandlungsrunde für den Kollektivvertrag 2024 der Metalltechnischen Industrie findet am kommenden Donnerstag statt.
Einen KV-Abschluss gab es heute bei den Privatforsten. Die Beschäftigten erhalten um 8,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Eine Einigung gab es gestern auch bei den Beamten, sie bekommen um 9,15 Prozent mehr. Zum Vergleich, die Pensionisten erhalten 9,7 Prozent zusätzlich. Wobei sich Knill gestern dagegen verwehrte, dass hier seine Branche mit Pensionisten oder Bäckern verglichen wird - schließlich exportiere die Metallindustrie 80 Prozent der Produktion und müsse daher mit dem Weltmarkt verglichen werden.
Bei den Metallern werden heute rund 40 Betriebe bestreikt, darunter Andritz, Bosch oder SKF und die Knill-Firma Mosdorfer im steirischen Weiz. Insgesamt hätten sich in den vergangenen Wochen bereits mehr als 100.000 direkt an den Streiks beteiligt, hieß es von den Gewerkschaften zur APA.
cri/stf

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