11.10.2023 14:14:00

wiiw: Deutsche Rezession zieht auch Mittel-Osteuropa nach unten

--------------------------------------------------------------------- AKTUALISIERUNGS-HINWEIS Neu: Nach Pressekonferenz neu geschrieben, mit Zitaten von wiiw-Direktor Holzner. ---------------------------------------------------------------------

In seiner Herbstprognose für die kommenden zwei Jahre hat das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) die Wachstumserwartungen für Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOSOE) deutlich nach unten korrigiert: Für das laufende Jahr erwarten die wiiw-Ökonomen für die EU-Länder der Region jetzt nur noch ein durchschnittliches Wachstum von 0,6 Prozent, was ungefähr der prognostizierten Eurozonen-Wachstumsrate von 0,5 Prozent entspricht.

Belastend wirkt sich derzeit vor allem die Rezession in Deutschland und die allgemeine Konjunkturschwäche in der Eurozone aus. "Wir sehen im Vergleich zum EU-Durchschnitt, wo es tatsächlich eine Punktlandung bei null Prozent gegeben hat, dass im Vergleich zum Vorjahr im zweiten Quartal in großen Teilen der Region durchaus ein robustes Wachstum stattgefunden hat", sagte wiiw-Direktor Mario Holzner am Mittwoch bei der Präsentation der Prognose. Jene Länder, die sehr nahe an der deutschen Volkswirtschaft sind - etwa die Schwergewichte Ungarn, Polen und Tschechien -, hätten im zweiten Quartal jedoch Probleme gehabt und seien auch geschrumpft.

"Der traditionelle Wachstumsvorsprung der Ostmitteleuropäer gegenüber Westeuropa dürfte damit in vielen Ländern zumindest für den Moment dahin sein", meint wiiw-Ökonom und Hauptstudienautor Branimir Jovanović.

In jenen Ländern, die wirtschaftlich noch wachsen konnten, war der Rückgang der Importe ein Haupttreiber des Wachstums, erklärte Holzner. Grund dafür sei die starke Energiebevorratung im vergangenen Jahr gewesen. "Dadurch, dass die Importe an sich bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts als ein negativer Faktor aufscheinen, ist ein Rückgang von Importen letztlich etwas, was bei der Messung des Bruttoinlandsprodukts zu einem Wachstum führen kann."

Besserung ist für die EU-Mitglieder in der Region 2024 in Sicht. Im kommenden Jahr prognostiziert das wiiw für sie ein durchschnittliches Wachstum von 2,5 Prozent, ausgehend von einem niedrigen Niveau und unterstützt von teilweise hohen Überweisungen aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds.

Deutlich besser sieht es in den südosteuropäischen EU-Ländern Rumänien und Kroatien mit einem für heuer erwarteten Wachstum von 2,5 Prozent aus. Unterstützt wird dieses Wachstum durch Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU. Auch die Westbalkanstaaten und die Türkei mit prognostizierten Wachstumsraten von 2,1 bzw. 3,2 Prozent zeigen sich resilient.

In einigen Ländern - traditionell Kosovo, Mazedonien, Serbien, Montenegro - spielen auch die Geldüberweisungen von Gastarbeitern im Ausland eine große Rolle. Im Falle des Kosovo sind das laut wiiw rund 2 Mrd. Euro, etwa ein Fünftel des Wirtschaftsleistung des Landes. Die absoluten Zahlen seien gering, so Holzner, denn es handle sich bei Kosovo, Mazedonien und Montenegro um kleine Länder. "Das gesamte Bruttoinlandsprodukt des Westbalkans ist ungefähr die Hälfte des griechischen Bruttoinlandsproduktes oder vergleichbar mit dem slowakischen Bruttoinlandsprodukt."

Die durch den Krieg mit Russland geschwächte Ukraine setzt zu einer leichten Erholung an. Das wiiw hat die Wachstumsprognose für 2023 auf 3,6 Prozent angehoben. Die Exporte landwirtschaftlicher Produkte stiegen trotz russischer Blockaden und Bombardements zwischen Juli und August um 16 Prozent. Die Ukraine-Expertin des wiiw, Olga Pindyuk, sieht im Importverbot für ukrainisches Getreide durch Polen und Ungarn ein Zeichen für die zunehmende Spaltung der EU in Bezug auf weitere Ukraine-Hilfen und warnt: "Angesichts der hohen Kriegskosten, die 2023 für ein Budgetdefizit von 27 Prozent des BIP sorgen, wäre jede Kürzung der westlichen Hilfsgelder für die Ukraine verheerend."

Russland wiederum zeigt trotz westlicher Sanktionen und Rubelschwäche ein erwartetes Wachstum von 2,3 Prozent für 2023, getrieben durch erhöhte Militärausgaben und steigende Reallöhne.

Gemessen am Vorjahr wächst die ukrainische Wirtschaft zwar, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend. "Die Ukraine ist letztes Jahr fast um ein Drittel eingebrochen", sagte Holzner. Allerdings, so gab Russland-Experte Vasily Astrov zu bedenken, seien etwa 15 Prozentpunkte dieses Einbruchs auf Gebietsverluste zurückzuführen.

"Im Falle Russlands ist es so, dass der Einbruch letztes Jahr ähnlich war wie das Wachstum dieses Jahr. Das heißt, dass letztlich noch immer nicht das Niveau von 2021 erreicht ist." Die Kriegswirtschaft wirke sich auf das Wirtschaftswachstum positiv aus, weil "Investitionen an sich kein moralisches Etikett besitzen".

Die Inflation in Mittel-Osteuropa ist in der Regel höher als in der EU insgesamt. "Wir sprechen hier von zweistelligen Wachstumsraten der Preise im August", so Holzner. "Weiterhin bleiben die Lebensmittelpreise der Haupttreiber der Inflation." Die Reallöhne seien zwar zuletzt gestiegen, aber über die letzten eineinhalb Jahre betrachtet würden die realen Löhne noch immer weit unter dem Niveau des vierten Quartals 2021 liegen. In Tschechien betrage der Reallohnverlust fast 20 Prozent.

(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 1362-23, Format 88 x 112 mm) ivn/tpo

ISIN WEB http://www.wiiw.ac.at/

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