Autisten gesucht |
20.10.2013 11:20:01
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Asperger-Autisten: Die erfolgreichen Software-Tester
Vom Jobcenter wurde er ausrangiert — mit Mitte 20. „Nicht vermittelbar“ lautete die Beurteilung. Dabei ist Steve Mittermaier hochintelligent. In langen Zahlenreihen, von denen andere Menschen Kopfweh bekommen, erkennt der 27-Jährige kleinste Fehler. Und obwohl er unbedingt arbeiten wollte, wurde er zu Hartz IV verdammt.
Steve Mittermaier ist Asperger-Autist. Soziale Interaktion, unvorhersehbare Situationen bedeuten für ihn extremen Stress. Schon in der Schule galt er bei den Klassenkameraden als Sonderling. Wie ein Fußabtreter habe er sich gefühlt, sei gehänselt und verprügelt worden.
Seine Mutter schleppte ihn zu Psychologen und Therapeuten. Doch jahrelang erkannte niemand sein Problem. Er sei eben so, man solle das akzeptieren, empfahl ein Arzt. Für Mittermaier bedeutete das fehlende Verständnis soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, Abstieg.
„Der typische Lebenslauf eines Autisten ist geprägt von Enttäuschung und Frustration“, sagt Dirk Müller-Remus, selbst Vater eines 20-jährigen Asperger-Autisten. „Dabei gibt es sehr gute Möglichkeiten, diesen Menschen berufliche Perspektiven zu bieten und als Unternehmen von ihnen zu profitieren.“
Um das zu beweisen, kündigte Müller-Remus 2011 seinen Vorstandsposten bei Nova Vision, einem Medizintechnikunternehmen, und gründete Auticon. Als erstes Unternehmen in Deutschland beschäftigt die Berliner Firma ausschließlich Menschen mit Asperger-Autismus als Softwaretester. Auch Steve Mittermaier hat hier zum ersten Mal in seinem Leben einen festen Job gefunden, für den er angemessen bezahlt wird.
Insgesamt schaffen es nur fünf bis sechs Prozent aller Autisten, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Beim Asperger-Autismus, einer milderen Form des Autismus, sind es immerhin rund 15 Prozent. Die meisten aber landen in der Arbeitslosigkeit.
Außergewöhnliche Fähigkeiten
„Nicht alle Autisten sind Rain Man, aber alle verfügen über die Fähigkeit, Fehler sofort zu erkennen“, sagt Müller-Remus. Autisten würden logischer denken, hätten oft ein
fotografisches Gedächtnis und eine höhere Konzentrationsfähigkeit. Ideal für ein Unternehmen, das Software testet. „Es sind Mitarbeiter, die akribisch arbeiten und zudem loyal und ehrlich sind, da Autisten von
Natur aus nicht lügen oder taktieren.“
Dass beides — Fehlererkennung und Ehrlichkeit — zutrifft, hat der Auticon-Chef erst kürzlich wieder am eigenen Leib erfahren. Um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken, schenkte er jedem Mitarbeiter einen Rucksack mit dem Firmenlogo. Doch statt Dank erntete er Kritik: „Das Logo ist nicht ordentlich gestickt, da ist ein Webfehler im Stoff“, meckerte ein Mitarbeiter.
In anderen Firmen würden solche Momente womöglich zu Streit führen, Müller-Remus dagegen schätzt die Aufrichtigkeit. „Ich glaube, dass Ehrlichkeit in Unternehmen zu mehr Effizienz führt.“
Auch die großen Player der deutschen Wirtschaft haben die besonderen Fähigkeiten der Asperger-Autisten für sich entdeckt. So kündigte der Softwarekonzern SAP jüngst an, bis 2020 solle ein Prozent seiner Arbeitsplätze mit Autisten besetzt werden. Das entspräche derzeit 650 Mitarbeitern.
Diese zu finden ist nicht so einfach. Nur etwa 0,3 Prozent der Bevölkerung sind vom Asperger-Syndrom betroffen. Und alle Asperger-Autisten haben ein bis zwei Spezialgebiete, für die sie sich fast ausschließlich interessieren. Diese Themen, egal ob es sich um Musik, Computer oder Sprachen handelt, nehmen viel Raum und Zeit im Denken und Tun des Autisten ein. „Daher fällt es vielen auch schwer, sich um alltägliche Dinge wie Freunde, Miete, Einkaufen zu kümmern.“
Firmen wie Auticon und in Zukunft auch SAP müssen diejenigen Asperger-Autisten finden, die wie Steve Mittermaier arbeitsfähig sind und deren Interesse mit Computern und Software zu tun hat. „Insgesamt dürften das in ganz Deutschland nicht mehr als 2.000 Menschen sein“, sagt Müller-Remus. Ein weiteres Problem: Autisten möchten ihr gewohntes Umfeld ungern verlassen, für einen Job umzuziehen, kommt für sie häufig nicht infrage.
Auticon hat daher mittlerweile drei Standorte in Ballungsgebieten und denkt über weitere nach. In Berlin, München und Düsseldorf beschäftigt die Firma 16 Autisten. Bis Ende des Jahres sollen es 25 werden, 2014 noch mal doppelt so viele. Hinzu kommen Jobcoaches — derzeit sind es vier —, die als Vermittler zwischen Autisten und Kunden wie der Bayerischen Landesbank, Infineon oder Vodafone fungieren. Als besonderen Erfolg verbucht Müller-Remus, dass unter anderem die Deutsche Telekom ihren Vertrag mit Auticon gerade verlängert hat.
Neben dem Testen von Software ist die professionelle Betreuung der autistischen Mitarbeiter Kernkompetenz von Auticon. Dabei geht es nicht, wie Müller-Remus betont, um Therapie. Auticon sei ein IT-Consulting-Unternehmen mit sozialem Anspruch, aber kein gemeinnütziges Projekt. Man wolle dieses Jahr „an der schwarzen Null kratzen“ und ab 2014 Geld verdienen.
Besondere Eigenarten
Wichtig ist eine gezielte Hilfestellung in Alltag und Berufsleben, die es den Autisten ermöglicht, effizient zu arbeiten. „Autisten verlieren sich oft in Details. Es ist schwierig für sie, für Alltagsprobleme Lösungen zu finden“, sagt der Auticon-Chef. Ein ruhiges Umfeld, klare Regeln und Strukturen seien entscheidend für den unternehmerischen Erfolg. Schon kleinste Veränderungen könnten einen Autisten aus dem Konzept bringen.
Als Beispiel erzählt er, wie ein Mitarbeiter von einem blinkenden Lämpchen an seinem PC derart irritiert war, dass er nicht mehr arbeiten konnte. „Er hat sich an den Jobcoach gewandt, der das Blinklicht dann einfach abgeklebt hat.“ Eine Lösung, auf die der in anderen Bereichen hochbegabte Asperger-Autist einfach nicht gekommen ist.
Einen anderen störte das Mausgeklicke seiner Kollegen, die daraufhin lautlose Grafik-Tablets bekamen. Dem nächsten war es zu hell. Er hat jetzt ein Einzelbüro, in dem er das Rollo herunterlassen und im Halbdunkel arbeiten kann.
Ebenso wichtig wie das Umfeld ist eine schnörkellose Kommunikation. Ein Autist erkennt keine Ironie, nimmt alles wortwörtlich. So bat eine nicht autistische Mitarbeiterin ihren autistischen Kollegen, ihren Computer „in Gang zu bringen“. Als sie zehn Minuten später wiederkam, stand der PC abgebaut im Flur. „Wer mit Autisten arbeitet, muss Sprache auf reine Information reduzieren“, sagt Müller-Remus. Ein Grund, warum er ein Vorstellungs- auch lieber Informationsgespräch nennt.
Verkannte Bewerber
Bisher gingen bei Müller-Remus rund 200 Bewerbungen ein. Er lädt jeden Bewerber ein, da aus den Unterlagen die wahren Fähigkeiten des Autisten oft nicht ersichtlich sind. „Ich hatte mal einen Bewerber, dessen Spezialgebiet es war, Bücher in sieben Sprachen zu übersetzen“, erzählt er. Im Lebenslauf habe das aber nicht gestanden, da der Bewerber Angst hatte, die Sprachen nicht perfekt genug zu beherrschen.
„Viele Autisten bekommen nie die Chance auf ein Vorstellungsgespräch“, sagt Müller-Remus. Manche haben schon 30 Jobs gemacht, ihre Lebensläufe weisen so viele Brüche auf, dass normale Arbeitgeber sie direkt in den Müll werfen. Auch Softwaretester Steve Mittermaier war es jahrelang so ergangen.
Er machte eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, danach eine zum Rettungssanitäter. Er jobbte im Supermarkt, ließ sich zum Kundenberater weiterbilden, wurde Servicemonteur für Windanlagen und machte Praktika als Elektriker und Pferdewirt. Nichts klappte. Entweder fand er keinen Job oder wurde in der Probezeit gekündigt.
Als seine Mutter im Fernsehen einen Bericht über Auticon sah, überredete sie ihn, es dort zu versuchen. Mittermaier durchlief wie alle Kandidaten ein mehrwöchiges Seminar, in dem unter anderem Selbstständigkeit, Teamfähigkeit und fachliches Wissen getestet werden. Auticon plant, sein Angebot in der Zukunft weiter auszubauen. „Wir lernen bei den Infogesprächen viele Leute mit interessanten Spezialthemen kennen, die aber fachlich noch nicht zu uns passen.“
So sei es vorstellbar, Unternehmen, die für spezielle Qualitätssicherungsthemen Mitarbeiter suchten, zu beraten. Der Kunde würde dann einen von Auticon empfohlenen Mitarbeiter einstellen und Auticon die Betreuung übernehmen.
„Mein Sohn zum Beispiel kann in Bilderrätseln auf einen Blick alle Fehler erkennen — egal wie viele es sind“, sagt der Auticon-Gründer. Zudem habe er das absolute Gehör. „Das sind Alleinstellungsmerkmale. Es wäre doch schlimm, diesen Menschen keine Chance zu geben. Und dumm, ihre Fähigkeiten wirtschaftlich nicht zu nutzen.“
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