Euro am Sonntag-Analyse 05.06.2016 03:00:40

Bertrandt: Warum der Konzern vom VW-Skandal profitiert

von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag

Ein Kart mit aufgesetztem Autoheck saust über die Teststrecke. Mit Abstand folgt dem 200-Kilogramm-Gefährt auf der Nebenspur ein schwarzer Audi A7. Beide fahren Kolonnengeschwindigkeit, 50 Kilometer pro Stunde. Plötzlich wechselt der ferngesteuerte Kart auf die Spur des Audi und bremst abrupt ab. Die selbstfahrende Limousine reagiert blitzschnell - gerade noch rechtzeitig bleibt das tonnenschwere Auto stehen, zwei Meter hinter dem Kart.


Autotests mit realistischen Szenarien wie diesem, nicht nur für autonomes Fahren, sondern auch bei Elektro- und Hybrid­antrieben, führen die Auto­konzerne inzwischen meist nicht mehr selbst aus, sondern Dienstleister wie Bertrandt.

Der Abgasskandal bei VW und seine Folgen bringen Unsicherheit in das Geschäft der Firmen, die Autokonzerne bei der Entwicklung ihrer Technologien zu entlasten. Wie sich der Skandal auf die Auftragsvergabe an ­Bertrandt und Co auswirken wird, ist bisher nicht absehbar. Die Zuversicht von Bertrandt-­Chef Dietmar Bichler mindert das nicht. Der Trend zur Fremdvergabe von Entwicklungsleistungen sei ungebrochen, sagt er. Dem schwäbischen Autozulieferer zufolge wird der Markt für Dienstleistungen dieser Art in Deutschland bis zum Jahr 2020 um eine Milliarde Euro auf 4,5 Milliarden Euro zulegen.

Hohe Jahresziele

Schon auf der Hauptversammlung im Februar warb Bichler mit ehrgeizigen Jahreszielen für seine Firma. Der Umsatz soll demnach um bis zu zehn Prozent zulegen, der operative Gewinn mit acht bis zehn Prozent ähnlich stark. Als größter europäischer Ingenieurdienstleister ist das Unternehmen im schwäbischen Ehningen auch das profitabelste.

Bichler kennt die Branche aus den Eff­eff. Der gelernte Feinblechner, der Fahrzeug- und Schweißtechnik studierte, hat Bertrandt vor 20 Jahren aufs ­Börsenparkett geführt. Während dieser Zeit hat der Manager, der selbst vier Prozent der Aktien hält, den Konzern zu einem gut diversifizierten Zulieferer aus­gebaut. Fast alle Autohersteller, aber auch große Zulieferer wie Continental hat man als Kunden gewonnen. Über Konzerne wie Airbus sind die Schwaben auch in der Luftfahrtbranche präsent.


Die Eigenkapitalquote lag im vergangenen Geschäftsjahr bei knapp 60 Prozent, die operative Marge bei knapp zehn. Damit zählt Bertrandt zur Elite deutscher Autozulieferer. Die Großaktionäre Porsche und der familiengeführte Katalysatorhersteller Boysen, die 25 beziehungsweise 15 Prozent der An­teile halten, bringen die Stabi­lität für eine langfristige Geschäftsplanung. So kann Bertrandt von einer Konsolidierung in der Branche profitieren.

Im April schlitterte Konkurrent Koch Engineering in die Pleite: Nach massiven Abwerbungen schrumpfte die Mannschaft des Mittelständlers von 110 auf 30 Mitarbeiter. Nun laufen Gespräche mit Investoren. Gut möglich, dass auch Bertrandt mitredet. Der Konzern investiert seit Jahren viel Geld in Kapazitäten und Ausstattung. Nach den 80 Millionen Euro im Vorjahr soll 2016 noch mehr Geld fließen. Bertrandt-Chef Bichler ist überzeugt, dass die Gesetzgebung für den Schadstoffausstoß bei Autos nach dem VW-Skandal verschärft wird. Das mache "zusätzliche Entwicklungsleistungen" erforderlich, hofft der Ingenieur.

Investor-Info

Bertrandt
Vorübergehender Dämpfer

Autobauer versuchen die Preise zu drücken, Großkunde VW hat nach dem Abgasskandal die Fahrzeugentwicklung umgebaut. Das hinterlässt auch Spuren in Bertrandts Bilanz. Im zweiten Quartal stieg der Umsatz um 4,2 Prozent auf 241,6 Millionen Euro. Der Gewinn je Aktie schrumpfte aber um knapp ein Fünftel auf 1,22 Euro pro Aktie. Die Jahresziele wurden jedoch bestätigt. Dank der starken Bilanz und der hohen Profitabilität bleibt die Aktie ein aussichtsreiches Investment.

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