Kein Grund zur Nervosität 08.06.2014 03:00:01

Europawahl: Nur die Ruhe bewahren

Europa hat gewählt, das Ergebnis ist meist nicht erfreulich für Europas Reformer. Wer für Wirtschaftsreformen oder eine tiefere EU-­Integration antrat, hatte es schwer an der Urne. Gilt also: Wer reformiert, verliert? Nein, denn es gibt auch Gegenbeispiele. In Summe wurde der Kurs der vergangenen Jahre sogar bestätigt. Aus Anlegersicht gibt es also keinen Grund zu hektischer Nervosität - wohl aber weiter zu erhöhter Wachsamkeit.

Bislang sorgte der Blick auf die Kurstafeln an den europäischen Börsen 2014 bei den Anlegern für gute Laune. Größte Gewinner waren mit den Peripherieländern ausgerechnet die Sorgenkinder von gestern. Während etwa der Euro Stoxx 50 seit Jahresanfang um gut drei Prozent zulegte, kletterten die Leitindizes in Spanien und Italien um stolze 6,5 und 9,4 Prozent. Ähnlich positiv war das Bild an den Rentenmärkten. Die Renditen für Staatsanleihen der Problemländer fielen, Kursgewinne waren die Folge. Ein Beleg für das gewachsene Vertrauen der Investoren in die Europäische Währungsunion.

Aber diese Beruhigung war zum großen Teil auf die Politik der Europäischen Zentralbank zurückzuführen, die mit ihrer Versicherung, "alles Notwendige für den Erhalt des Euro zu tun", das Vertrauen in den Bestand der Eurozone zurückgebracht hat. Ab der zweiten Jahreshälfte 2013 kam hinzu, dass sich die rasante konjunkturelle Talfahrt in ­einen zarten Aufwärtstrend umkehrte und die Investoren zunehmend auch die Reform­fortschritte der Regierungen zur Kenntnis nahmen. Das Ergebnis war die beschriebene Erleichterungsrally. Soll es an den Märkten so weitergehen, sind allerdings zusätzliche Verbesserungen notwendig.

In den Peripheriestaaten
wurden Reformer ausgebremst

Und hier kommt nun die Europawahl ins Spiel. Deren Ergebnisse könnten, so die Sorge einiger Beobachter, die politischen Entscheidungsträger dazu verleiten, ihren Reform­eifer zu bremsen. In nahezu allen Krisen­staaten hat sich die Haushaltslage dank der mitunter harten Sparmaßnahmen entschieden verbessert. Zudem wurde die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Jetzt zahlen sich die Einschnitte langsam aus, die Leistungsbilanzen drehen ins Positive und auch das Wachstum zieht an.

Der politische Preis waren vehemente Proteste. Das machtpolitische Kalkül der Reformer, wonach man diese aushalten müsse, bis die Maßnahmen wirken, scheint allerdings (noch) nicht überall aufzugehen. Selbst im Aufschwung wurde das Reformlager vielerorts abgestraft. Dies gilt für Spanien und Portugal genauso wie für Irland. Dort verdichten sich zwar die Anzeichen für eine Wirtschaftserholung, geholfen hat es den Regierungsparteien indes nicht. Besonders eindeutig ist das Votum in Griechenland: Hier überrundeten die Parteien von den extremen Rändern die den Sparkurs tragenden etablierten Kräfte in der Wählergunst.

In vielen Staaten besteht also eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Reform­bedarf und der Reformbereitschaft der Bevölkerung. Da kommt einem zuerst Frankreich in den Sinn, in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmefall. Die Grande Nation gehört grundsätzlich zu den wirtschaftlich leistungsfähigsten Volkswirtschaften des Kontinents, hat sich aber bislang nur unzureichend auf die Globalisierung eingestellt. Der Reformprozess wurde hier also noch gar nicht richtig begonnen. Bei der Europawahl haben trotzdem ausgerechnet jene Parteien gut abgeschnitten, die sich, wie der rechtslastige Front National, gegen Modernisierung und gegen die europäische Integration wenden. Hat Frankreich aber wirtschaftliche Probleme oder sperrt es sich gegen weitere Integrationsschritte, kann Europa nur schwer gesunden. Es ist zu hoffen, dass Präsident François Hollande auf seinem angekündigten Weg der Reformen bleibt - trotz des schwachen Ergebnisses seiner Sozialistischen Partei. Seine ersten öffentlichen Äußerungen gehen in diese Richtung. Französische Staatsanleihen blieben nach der Wahl im Handel stabil. Investoren zeigen sich also bislang unbeeindruckt.

Dass die Reformstrategie auch politisch Aussicht auf Erfolg hat, zeigt das Beispiel Italien. Seine Wirtschaft ist in weiten Teilen sehr wettbewerbsfähig, Anpassungen am staat­lichen Überbau sind aber unabdingbar. Mit Matteo Renzi hat vor einigen Monaten ein ­resoluter Reformer das Amt des Minister­präsidenten übernommen, der aber bislang in keiner demokratischen Wahl legitimiert wurde. Renzis Sozialdemokraten haben die Europawahl nun eindeutig gewonnen. Das italienische (Teil) Ergebnis der Europawahl lässt also darauf schließen, dass die Bürger den angekündigten Kurs Renzis mittragen. Ein Einzelfall? Nein, auch im krisengeschüttelten Zypern haben proeuropäische Reformkräfte die Wahl gewonnen.

Europas Börsen sind weniger
anfällig für politische Krisen

Mit Blick auf die Kapitalmärkte überwiegen damit die positiven Resultate der Europawahl, was man auch an der freundlichen ­Reaktion von Peripherieanleihen erkennen konnte. Insgesamt existiert im Europäischen Parlament nach wie vor eine breite Mehrheit von Unterstützern des Reformkurses. Mit den beiden derzeit infrage kommenden Kandidaten dürfte die EU-Kommission künftig von einem erfahrenen, reformorientierten Politiker geführt werden.

Dass offenbar die Bevölkerung nicht aller Staaten von der Notwendigkeit des Reformkurses überzeugt ist, stellt einen Risikofaktor für die Kapitalmärkte dar. Doch die ökonomischen und institutionellen Fortschritte der Vergangenheit haben dazu geführt, dass Europa - und damit seine Börsen - weniger anfällig ist für politische Krisen.

Wie steht es nun unter dem Strich um die Anlageperspektiven in der Eurozone? Die unmittelbare Krisenerholung ist vorbei, Aktien und Renten haben schon auf die verbesserten Rahmenbedingungen reagiert. Für weitere Kursanstiege sind zusätzliche Fortschritte - konjunkturell und strukturell - notwendig, und dafür braucht es Unterstützung durch die Politik. Zwar haben die Regierungen bereits erfolgreich reformiert, aber eben nicht überall in ausreichendem Maße. Weitere ­ Anstrengungen sind erforderlich. Europas Bürger sind dafür nicht per se das oft beschworene Hindernis. Daher sind die Ergebnisse der Wahl für Anleger zwar ein Signal, wachsam zu sein, aber es besteht kein Anlass zu hektischer Nervosität.

zur Person:

Björn Jesch, Leiter
Portfolio­management bei Union Investment

Björn Jesch ist seit 2012 Leiter des Portfolio­managements von Union Investment und führt das Fondsmanagement-Team mit rund 240 Mitarbeitern. Er wurde Anfang ­ der 90er-Jahre bei der Dresdner Bank als Bankkaufmann und Devisenhändler ausgebildet. ­Später war er im Private Wealth Management der Deutschen Bank tätig und verantwortete dort als CIO die Anlagestrategie. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisen­banken und verwaltet mehr als 200 Milliarden Euro für private und ­institutionelle Anleger.

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