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GELD-Magazin |
31.05.2017 12:34:34
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"Noch Drohpotenziale vorhanden!"
Im Gespräch mit Mag. Peter Brezinschek, Chef-Volkswirt der Raiffeisenbank International AG
GELD-Magazin: Der wiedergewonnene Optimismus in der internationalen Wirtschaft und in Österreich überrascht, weil sich zwar die Konjunktur weiter aufhellt, aber die politischen Risiken weiter bestehen, sich sogar verschärfen. Wie schätzen Sie die aktuellen Drohpotenziale ein?
Mag. Peter Brezinschek: Wir haben in Europa heuer ein Super-Wahljahr. Die Wahlen in den Niederlanden und Frankreich sind geschlagen, aber die große Frage ist, ob das französische Parlament den neuen Präsidenten Macron unterstützen wird. In der zweiten Jahreshälfte wird in Italien und Deutschland gewählt; auch da sind Überraschungen nicht auszuschließen. Dazu kommt, dass Griechenland im kommenden Sommer wieder fällige Anleihen zurückzahlen muss. Dieses Thema wird uns weiter beschäftigen und auch die Lage des italienischen Bankwesens ist noch keiner Lösung zugeführt. Risiken bestehen permanent, allerdings scheint sich die Zuversicht auf Unternehmerseite so verfestigt zu haben, dass wir 2017 global ein höheres Wachstum haben werden als 2016.
GELD-Magazin: Frankreich und Großbritannien werden vorderhand kaum ein Risiko sein, aber ein Grexit und Probleme mit Italien sind nicht ausgeschlossen?
Mag. Peter Brezinschek: Ich glaube nicht, dass Griechenland ein Stolperstein sein wird. Ich vermute eher, dass die globale Lage angesichts der politischen Konflikte in Syrien, aber auch die weitere Entwicklung des Protektionismus unter US-Präsident Trump echte Risiken sein können. Ein Angriff auf die Freihandelsabkommen wäre eine ernsthafte Bedrohung für die aktuelle Einschätzung der Konjunktur. Wenn es zu Handelskriegen kommen sollte, sehe ich dort das größte Risiko. Seit dem Treffen Trumps mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping ist allerdings eine Beruhigung der Lage eingetreten.
GELD-Magazin: Trump will die Steuern stark senken, um die US-Wirtschaft zusätzlich anzukurbeln. Wird das den US-Konjunkturaufschwung über 2019 hinaus verlängern?
Mag. Peter Brezinschek: Die USA befinden sich in einer guten wirtschaftlichen Ausgangslage, die keine zusätzlichen Impulse benötigt, um den Konjunkturzyklus zu verlängern. Allerdings ist die Infrastruktur der USA in vielen Bereichen stark erneuerungsbedürftig. Das Investitionsprogramm Trumps von mehr als 1000 Milliarden US-Dollar für die nächsten acht Jahre wurde bisher jedoch nicht konkretisiert. Das wäre eine Maßnahme, die eine Verlängerung des Konjunkturzyklus herbeiführen, sogar die Gefahr einer Überhitzung heraufbeschwören könnte. Die Steuersenkungspläne des US-Präsidenten könnten, wenn sie auch die Klein- und Mittelbetriebe umfassen, tatsächlich dazu führen, dass es zu einer Verlängerung des Investitionszyklus kommt, weil die Unternehmensgewinne 2018 einen deutlichen Impuls erhalten würden. Das würde die Kursgewinne der Aktien unterstützen.
Weiters hat Trump auch Steuersenkungen für Arbeitnehmer angekündigt. Das sollte höhere Netto-Haushaltseinkommen und damit ebenfalls eine Verlängerung der Konjunkturwelle bringen, sodass bis 2019 mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 2,5 bis drei Prozent zu rechnen wäre. Das wird, solange es nicht zu protektionistischen Maßnahmen kommt, auch für Europa und die Emerging Markets positive Auswirkungen haben.
GELD-Magazin: Ist die Häufung wichtiger Wahlgänge in Europa im laufenden Jahr eher eine Gefahr oder eine Hoffnung für die Wirtschaft? Mag. Peter Brezinschek: Wenn man das mit der Ausgangslage vergleicht, gibt es fast überall politische Exponenten, die mit einer sozialen Marktwirtschaft und der Förderung des Unternehmertums in Europa nicht viel am Hut haben. Bislang sind diese Politiker in Frankreich und den Niederlanden jedoch nicht die Gewinner der Wahlen.
GELD-Magazin: Sie sprechen die Herausforderung durch linke und rechte Populisten an?
Mag. Peter Brezinschek: Sie vertreten Programme, die nichts mit Marktwirtschaft zu tun haben, sondern einen starken Staat und starken Interventionismus propagieren. Sie glauben, dass die Regierungen als Lenkungseinheiten alles in der Hand haben, um Beschäftigung und Wohlstand zu garantieren. Das ist eine Illusion. Diese Ziele können erfahrungsgemäß nur funktionierende Unternehmen sowie ein halbwegs fairer Arbeitsmarkt schaffen.
GELD-Magazin: Welche konkreten Risiken sehen Sie für Europa?
Mag. Peter Brezinschek: In Italien gibt es ein einschlägiges Risiko. Die dortige 5-Sterne-Bewegung Peppe Grillos mit ihrer Anti-Euro-Kampagne ist eine Gefahr. Eine solche sehe ich in Deutschland nicht so ausgeprägt. Aber die dortigen Forderungen zur Aufhebung der Agenda 2010, die von der jetzigen Koalitionsregierung teilweise schon ausgehebelt worden ist, und die Möglichkeit, sie völlig beiseite zu legen, vergrößern das Risiko. Das würde bedeuten, dass sich die deutsche Regierung stärker auf die Ausgabenseite - Pensionen, Mindestlöhne und soziale Vergünstigungen - konzentriert. Dann läuft Deutschland Gefahr, einen Teil der Früchte aus seinen Reformen am Beginn des neuen Jahrtausends auf lange Sicht aufzugeben.
GELD-Magazin: Ist das Phänomen Digitalisierung (Industrie 4.0) und die Sorgen vor einem Mega-Job-Verlust berechtigt oder vertrauen Sie der österreichischen Regierung, in den nächsten Jahren zum Ausgleich Tausende neue Arbeitsplätze zu schaffen?
Mag. Peter Brezinschek: Ich bin kein Freund von Ankündigungen, demnächst 20.000 neue Jobs im öffentlichen Dienst zu schaffen, denn das ist nur sinnvoll, wenn dafür echter Bedarf besteht. Wenn der Anteil des öffentlichen Sektors erhöht wird in Zeiten, wo es ganz auf die Steigerung von Effizienz und Produktivität ankommt, ist das kontraproduktiv. Ich halte es für sinnvoller, endlich die oft angekündigte Entbürokratisierung und Deregulierung umzusetzen. Im österreichischen Dienstleistungsbereich bekommen wir selbst von der nicht eben neoliberalen OECD ständig Vorschläge, unsere allzu strengen Regeln zu lockern, um die Wettbewerbsintensität der Unternehmen anzuheben. Ich würde vielmehr raten, unsere restriktive Gesetzgebung zu beseitigen. Damit schaffen wir sicher mehr Anreize und Jobs. Dazu kämen vermehrte Anstrengungen im Bildungsbereich, um unseren Unternehmen jene Arbeitskräfte zu liefern, die sie für einen Wirtschaftsaufschwung brauchen. Von Unternehmern höre ich stetig, sie wollten neue Arbeitnehmer einstellen, aber auf dem Arbeitsmarkt sei qualifiziertes Personal nicht in jenem Ausmaß vorhanden, in dem es benötigt wird. Es müssen Umschulungen stattfinden, es muss die Mobilität gegeben sein, andere Jobs anzunehmen, und die Differenz zwischen einem Arbeitsloseneinkommen und dem Einkommen im Niedriglohnsegment muss deutlich zugunsten der aktiv Beschäftigten verschoben werden.
GELD-Magazin: Das Finanzvermögen der Österreicher ist auf mehr als 625 Milliarden Euro gestiegen. Die täglich fälligen Einlagen steigen zu Lasten der Langfristanlagen. Sparen wir uns da zu Tode?
Mag. Peter Brezinschek: Die österreichische Sparquote ist im Vergleich zu früher gesunken; wir sind im einstelligen Bereich, während wir früher zweistellig gewesen sind. Sparen hat nach Keynes die Funktion, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Investitionen getätigt werden können. Man muss nur darauf achten, dass die EZB als Bankenaufsicht nicht mit regulatorischen Maßnahmen ihre eigenen Ziele in der Geldpolitik konterkariert. Es ist wichtig, dass sie den Banken nicht zu viele Prügel in den Weg legt, damit diese ihre Funktion als Finanzierer vor allem der Klein- und Mittelbetriebe - das Rückgrat der europäischen Wirtschaft - erfüllen können. Der derzeit negative Einlagenzinssatz ist kein Umfeld, in dem Finanzintermediäre gute Geschäfte machen. Die EZB sollte sich Gedanken machen, warum auf dem Kapitalmarkt in vielen Fällen so starke Zurückhaltung geübt wird. Heute können spekulativ geratete Unternehmen Anleihen zu Bedingungen emittieren, die das Risiko in keiner Weise mehr abbilden. Das ist gefährlich, weil die Sicherheit des Bankensystems darunter leidet. Ich würde mir mehr Lockerlassen auf Seiten des Einlagenzinssatzes zumindest für 2018 wünschen.
GELD-Magazin: Ist das eine berechtige Hoffnung?
Mag. Peter Brezinschek: Eine Rücknahme des EZB-Anleihekaufprogramms spätestens mit Jahreswechsel 2017/18 würde sich ohnehin anbieten, weil von Deflation, aber auch von einem Konjunktureinbruch ohnehin keine Gefahr droht. Die Inflationsraten in den kommenden ein bis zwei Jahren werden sich wahrscheinlich um die 1,5 Prozent oder etwas höher bewegen, und das wäre mit dem EZB-Ziel, unter der Zwei-Prozent-Marke zu bleiben, durchaus vereinbar.
GELD-Magazin: Was raten Sie vor diesem Hintergrund Österreichern, die ihr Erspartes so anlegen möchten, dass sie zumindest keinen Kapitalverlust erleiden?
Mag. Peter Brezinschek: Vor allem Aktien kaufen. Diese sind zwar teuer geworden, aber derzeit ohne echte Alternative, wenn man langfristig reale Erträge erzielen möchte. Seit März 2009 sind wir in der zweitlängsten Aufwärtsperiode für Aktien innerhalb der letzten 100 Jahre. Der Aktienmarkt ist jene Anlageklasse, an der man für langfristige Nettoerträge nicht vorbeikommt, weil sie für alle wirtschaftliche Prosperität bringen. Wohl sind Aktien rückschlagsgefährdet, aber noch immer deutlich besser als Anleihen, wo reale Renditen für längere Zeit ein Wunschtraum bleiben werden. Mein Anliegen ist, dass die ständige politische Verteufelung der Aktien in Österreich beendet und die Förderung von Risikokapital zur Chefsache gemacht wird. Derzeit ist das Gegenteil der Fall. Es bedarf einer Gleichstellung der Kapitalertragsteuer für sämtliche Anlageformen mit dem Ziel, die Risikoübernahme für alle attraktiv zu machen.
Zur Person:
Mag. Peter Brezinschek wurde in Wien geboren und studierte von 1977 bis 1982 Volkswirtschaft an der WU Wien. 1983 trat er in die Genossenschaftliche Zentralbank (GZB) ein. Seit 1986 war er für die Anlagestrategie und Finanzanalyse der RZB zuständig; jetzt ist er globaler Leiter von Raiffeisen-Research der Raiffeisenbank International AG. 2013 wurde Brezinschek Mitglied im Fiskalrat und ist international anerkannter Experte in Sachen Finanz- und Kapitalmärkte. Er verfasst regelmäßig Fachbeiträge für Wirtschaftsmagazine und ist Autor mehrerer Bücher über Aktienmärkte und Osteuropa. Brezinschek bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft und lehnt Protektionismus sowie überbordende Regulierung von oben her ab.
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