23.09.2015 20:22:49

UPDATE3/VW-Chef Winterkorn tritt ab - die Nachfolgersuche läuft

   --Winterkorn räumt im Diesel-Skandal den Chefposten

   --Winterkorn ist sich "keines Fehlverhaltens bewusst"

   --Aufsichtsratspräsidium drückt Winterkorn Respekt aus

   --Kontrollgremium soll am Freitag über Nachfolge beraten

   (Durchgehend neu)

   Von Hendrik Varnholt

   FRANKFURT (Dow Jones)--Der Skandal um manipulierte Abgaswerte von Diesel-Fahrzeugen kostet Volkswagen-Chef Martin Winterkorn den Job: Nach mehr als acht Jahren an der Spitze des Autokonzerns hat Winterkorn am Mittwochnachmittag seinen Rücktritt angekündigt. "Volkswagen braucht einen Neuanfang - mit meinem Rücktritt mache ich den Weg dafür frei", ließ er sich in einer Mitteilung des Automobilherstellers zitieren. Das Aufsichtsratspräsidium des Konzerns, das seit Mittwochmorgen getagt hatte, kündigte an, bis zur nächsten regulären Sitzung des Kontrollgremiums am Freitag Vorschläge für die Nachfolge Winterkorns zu machen.

   "Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist", ließ Winterkorn erklären. "Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren." Er trete "im Interesse des Unternehmens" zurück, obwohl er sich "keines Fehlverhaltens bewusst" sei.

   Volkswagen hatte nach einer Veröffentlichung amerikanischer Behörden am Wochenende zugegeben, die Steuerungssoftware bestimmter Dieselmotoren so konzipiert zu haben, dass sie bei Abgastests den wahren Schadstoffausstoß verschleiert. Im normalen Verkehr stoßen die betroffenen Autos nach den Behördenangaben bis zu 40-mal so hohe Stickoxid-Mengen aus wie in den USA erlaubt. Volkswagen-Chef Winterkorn entschuldigte sich dafür in einer ersten Erklärung am Sonntag. Am Dienstag wandte er sich in einem Video an die Öffentlichkeit. Darin kündigte er abermals die Aufklärung des Skandals an - und machte deutlich, daran selbst verantwortlich mitarbeiten zu wollen.

   Dazu wird es nicht mehr kommen. Winterkorn hat sich innerhalb weniger Stunden umentschieden: Aus Durchhaltewillen ist die Bereitschaft zum Rücktritt geworden.

   Offen blieb zunächst, inwieweit der Aufsichtsrat zu Winterkorns Sinneswandel beigetragen hat. Das Präsidium des Kontrollgremiums hatte vor Winterkorns Rücktrittsankündigung stundenlang getagt. Wenige Minuten nach der Stellungnahme des Vorstandschefs drückten die Mitglieder des Aufsichtsratspräsidiums Winterkorn ihren Respekt aus. Der Manager sende mit seiner Entscheidung "ein deutliches Signal in das Unternehmen hinein und nach außen", ließ das Gremium erklären. Das Aufsichtsratspräsidium nehme das "mit größter Hochachtung zur Kenntnis".

   Mit dem vorzeitigen Ende von Winterkorns Amtszeit hatten einige Beobachter schon kurz nach dem Beginn der Diesel-Krise gerechnet. Mancher forderte es gar: Der prominente Automobilprofessor und Volkswagen-Kritiker Ferdinand Dudenhöffer etwa empfahl dem Volkswagen-Chef den Rücktritt. Auch am Kapitalmarkt sorgten Volkswagens Manipulationen für zunehmende Empörung. Der Aktienkurs des Autokonzerns brach am Montag und Dienstag um zusammen fast 40 Prozent ein, bevor er sich am Mittwoch stabilisierte.

   "Volkswagen braucht einen Neustart und einen neuen Chef", sagte am Dienstag denn auch der Finanzanalyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI. Kurz zuvor hatte Volkswagen angekündigt, noch im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro zurückzustellen, um die zunächst erwarteten finanziellen Auswirkungen des Skandals abzudecken. Im Jahr 2015 kostet der Diesel-Skandal Volkswagen demnach rund die Hälfte des eigentlich vorausgesagten operativen Gewinns.

   Unklar ist bislang aber, inwieweit Winterkorn selbst Schuld an den Manipulationen und ihren Auswirkungen trifft. Das Aufsichtsratspräsidium nahm Winterkorn mit Blick darauf am Mittwochnachmittag in Schutz. Es stellte fest, dass Winterkorn "keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten". Feststellungen der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA werfen aber die Frage auf, ob Winterkorn nicht lange vor der Veröffentlichung am Freitag Anlass hatte, sich über die Gründe für auffällige Abgaswerte zu informieren: Die amerikanischen Beamten sind nach eigenen Angaben schon seit Mai 2014 mit Volkswagen-Verantwortlichen wegen der Schadstoffwerte von Diesel-Fahrzeugen in Kontakt. Zudem stellt die EU-Kommission schon seit einiger Zeit Überlegungen an, den Schadstoffausstoß künftig unter realeren Bedingungen zu testen.

   Ein Volkswagen-Sprecher lehnte einen Kommentar dazu am Dienstag ab. Am Mittwoch war die Presseabteilung des Unternehmens für Anfragen nicht zu erreichen.

   Winterkorn hatte den Vorstandsvorsitz bei Volkswagen im Jahr 2007 übernommen. Er hat aus dem Automobilunternehmen den Zwölf-Marken-Konzern gemacht, der in der ersten Hälfte dieses Jahres größter Autohersteller der Welt war. Das Aufsichtsratspräsidium teilte denn auch mit, Winterkorn habe sich "um Volkswagen unschätzbare Verdienste erworben". Und weiter: "Mit seinem Namen ist der Aufstieg des Unternehmens zu einem Weltkonzern verbunden."

   Der heute 68 Jahre alte Manager war allerdings schon in den Monaten vor dem Abgasskandal unter Druck geraten. Kritiker warfen ihm große Schwierigkeiten der Massenmarke Volkswagen auf dem amerikanischen Markt vor. Dort verfehlt die Marke den Geschmack vieler Kunden. Auch in China traf Volkswagen jüngst zunehmend auf Schwierigkeiten. Dort sind derzeit günstige SUVs in Mode. Solche Fahrzeuge aber hat Volkswagen nicht im Angebot.

   Im Frühjahr musste Winterkorn zudem einen Machtkampf mit dem langjährigen Volkswagen-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech austragen. Der oft als Konzernpatriarch bezeichnete Piech hatte zuvor öffentlich gesagt, er sei "auf Distanz" zu Winterkorn. Piech allerdings unterlag in dem Streit und räumte alle Posten. Wie zum Beweis des Vertrauens versprach der Aufsichtsrat Winterkorn die frühzeitige Verlängerung des Arbeitsvertrags bis zum Ende des Jahres 2018. An diesem Freitag hätte die Vereinbarung formell geschlossen werden sollen.

   Dies bleibt nun aus. Stattdessen wird sich der Aufsichtsrat bei der Sitzung am Freitag mit der Nachfolge Winterkorns befassen. Das Präsidium des Gremiums kündigte an, bis dahin Vorschläge vorzulegen. Mehrere Kandidaten für den Posten des Vorstandsvorsitzenden aber sind offenkundig. Ihnen voran steht der Porsche-Chef Matthias Müller. Der 62-Jährige kennt den Volkswagen-Konzern wie nur wenige andere Manager: Der IT-Experte hat seine Karriere im Jahr 1977 bei Audi begonnen. Dort wurde er oberster Produktmanager, bevor er im Jahr 2007 zu Volkswagen und drei Jahre später zu Porsche wechselte. Mit ihm dürfte sich der Volkswagen-Konzern nur behutsam wandeln: Müller gilt als Vertrauter Winterkorns. Jüngst fiel er zudem als Kritiker selbstfahrender Autos auf. Um die Technik gebe es einen "Hype", sagte er.

   Ein weiterer möglicher Nachfolger Winterkorns ist Audi-Chef Rupert Stadler. Der erst 52-Jährige gilt unter vielen Volkswagen-Kennern allerdings nicht als Idealkandidat, weil er Betriebswirtschaftler statt Ingenieur ist. Der bisherige Volkswagen-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch dagegen würde Ingenieurwissen und finanzwirtschaftlichen Sachverstand mit in die Position des Vorstandschefs bringen. Pötsch gilt bislang als Nummer zwei im Konzern. Er ist allerdings schon 64 Jahre alt - und soll im November den Aufsichtsratsvorsitz des Konzerns übernehmen.

   Für einen deutlich wahrnehmbaren Neuanfang würde sich der Volkswagen-Aufsichtsrat mit der Wahl von Herbert Diess entscheiden. Der 56 Jahre alte frühere BMW-Vorstand hat erst im Juli die Position des Volkswagen-Markenchefs übernommen. Schon damit ist er auf Winterkorn gefolgt, der zuvor den Konzern und die Kernmarke in Personalunion geleitet hatte. Diess gilt als durchsetzungsstark. Bei BMW hat er die Kosten erheblich gesenkt. Dazu ist auch Volkswagen gezwungen. Womöglich fehlt ihm aus Sicht der Konzernaufseher aber die nötige Erfahrung in Wolfsburg.

   Wer auch immer Nachfolger Winterkorns wird, steht vor einer Herausforderung enormen Ausmaßes. Der künftige Volkswagen-Chef muss das verloren gegangene Vertrauen in den Konzern zurückgewinnen. Dafür muss er sich als Aufklärer beweisen. Auch das Aufsichtsratspräsidium forderte am Mittwoch, "dass mit aller Entschlossenheit die Vorgänge aufgeklärt werden und dafür Sorge getragen wird, dass Verfehlungen geahndet werden". Die Konzernkontrolleure kündigten dazu an, eine Strafanzeige zu erstatten und einen Sonderausschuss einzusetzen. Die Bewältigung der "Vertrauenskrise" sei eine Aufgabe, "die hohe Konsequenz und einen langen Atem erfordert", schrieben die Präsidiumsmitglieder zudem.

   Der künftige Konzernvorstand darf darüber hinaus die Herausforderungen nicht aus dem Blick verlieren, vor denen Volkswagen schon vor der aktuellen Krise stand. Er muss das Unternehmen durch die anstehenden Umbrüche in der Automobilindustrie führen. Vor allem die zunehmende Digitalisierung verändert in der Branche viel: Schon heute gewinnen IT-Unternehmen wie Google und Apple im Automobilgeschäft an Bedeutung. Hinzu kommt, dass Volkswagen wie andere Automobilkonzerne weiter ganz erheblich in elektrisch angetriebene Fahrzeuge investieren muss.

   Bislang stand dem Unternehmen dafür eine üppige Finanzreserve zur Verfügung. Doch auch diese ist angesichts des Diesel-Skandals in Gefahr.

   Kontakt zum Autor: hendrik.varnholt@wsj.com

   DJG/hev/brb

   (END) Dow Jones Newswires

   September 23, 2015 13:52 ET (17:52 GMT)

   Copyright (c) 2015 Dow Jones & Company, Inc.- - 01 52 PM EDT 09-23-15

Analysen zu Porsche Automobil Holding SE Vzmehr Analysen

10.02.25 Porsche Automobil vz. Hold Warburg Research
03.02.25 Porsche Automobil vz. Market-Perform Bernstein Research
22.01.25 Porsche Automobil vz. Hold Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank)
16.01.25 Porsche Automobil vz. Market-Perform Bernstein Research
14.01.25 Porsche Automobil vz. Sell Goldman Sachs Group Inc.
Eintrag hinzufügen
Hinweis: Sie möchten dieses Wertpapier günstig handeln? Sparen Sie sich unnötige Gebühren! Bei finanzen.net Brokerage handeln Sie Ihre Wertpapiere für nur 5 Euro Orderprovision* pro Trade? Hier informieren!
Es ist ein Fehler aufgetreten!

Aktien in diesem Artikel

Porsche Automobil Holding SE Vz 36,89 0,71% Porsche Automobil Holding SE Vz
Volkswagen (VW) St. 101,90 0,49% Volkswagen (VW) St.