Weltwirtschaft 22.12.2013 03:00:01

WTO-Abkommen: Neuer Schub für den globalen Handel

von Christoph Platt, Euro am Sonntag

Die Reaktionen waren überschwänglich. Von einem historischen Abkommen war die Rede, von einem Durchbruch, einer Krönung, ja sogar von einem Wunder. Die Einigung der 159 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) vor einer Woche berauschte sowohl Teilnehmer als auch Beobachter.

Am 7. Dezember verkündete WTO-Chef Roberto Azevêdo, was vielen undenkbar erschienen war: Die Mitglieder der WTO hatten sich zusammengerauft und eine gemeinsame Erklärung beschlossen, die den globalen Handel erleichtern soll. Bürokratische Hürden im Zollverkehr sollen abgebaut, Exportsubventionen verringert werden. Außerdem sollen die ärmsten Länder der Erde einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrienationen erhalten.

Die Einigung, die die WTO auf der indonesischen Insel Bali erzielt hat, ist bemerkenswert. Denn die Verhandlungen über eine umfangreiche Liberalisierung des Welt­handels waren festgefahren. 2001 waren in Katars Hauptstadt Doha ­Beschlüsse gefasst worden, die den ­globalen Freihandel ein gutes Stück voranbringen sollten. Passiert ist ­danach nichts mehr. Zu groß waren die Differenzen zwischen den wirtschaftsstarken Industrienationen und den Schwellen- und Entwicklungsländern. Mehrere Versuche, eine Lösung zu finden, scheiterten.

Dass ausgerechnet jetzt eine Einigung zustande kam, ist überraschend. Denn der Brasilianer Azevêdo steht als neuer Generalsekretär erst seit gut drei Monaten an der Spitze der WTO. Dennoch gelang es dem Neuling, die widerstreitenden Interessen zusammenzuführen und die Nationen zu einem gemeinsamen Beschluss zu bewegen. Sein Vorgänger hatte sich daran seit Jahren abgearbeitet.

Dreigeteilter Beschluss
Das Bali-Abkommen lässt sich in drei Themenkomplexe aufteilen: Zum einen wurde beschlossen, bürokratische Hürden im internationalen Handel abzubauen. Das betrifft im Wesentlichen Zollkontrollen. Es geht dabei aber nicht um geöffnete Schlagbäume, sondern um die Verringerung von Verwaltungsaufwand, wodurch sich Zeit und Geld einsparen lässt. Und es geht um Verlässlichkeit. "In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern sind die Regeln für Einfuhren unklar", sagt Jürgen Matthes vom ­Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Die Einfuhr dauert teilweise sehr lang, Gebühren sind oft nicht nachvollziehbar." Das Abkommen nimmt nun diese Länder in die Pflicht, klare Bestimmungen festzulegen.

Der zweite Themenkomplex des Abkommens betrifft den Landwirtschaftssektor. Wichtigster Punkt ist das Versprechen der Industrieländer, künftig ihre Exportsubventionen zu verringern. Diese sorgen dafür, dass landwirtschaftliche Güter beispielsweise aus Europa einen Wettbewerbsvorteil haben. Ärmere Länder haben mit ihrem Angebot oft das Nachsehen.

Themenkomplex Nummer 3 befasst sich mit Hilfen für die ärmsten Länder der Erde. Diese gering entwickelten Volkswirtschaften sollen künftig einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer erhalten, ihre Waren dort also leichter anbieten können.

Folgen des Abkommens
Das Abkommen funktioniert nicht wie ein Schalter. Der Weltwirtschaft wird nicht ab sofort ein Zusatzwachstum beschert - doch langfristig dürfte es sie beflügeln. Die Internationale Handelskammer (ICC) beziffert den Wert des Abkommens für die Weltwirtschaft mit einer Billion Dollar, rund 725 Milliarden Euro. 21 Millionen neue Jobs sollen nach Ansicht der ICC durch die Einigung entstehen, die meisten davon in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Auch Deutschland dürfte der Beschluss gefallen. Dank der starken Exportorientierung profitiert die heimische Wirtschaft grundsätzlich von einem freieren globalen Handel. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erwartet ein Plus für die deutsche Wirtschaft von 60 Milliarden Euro im Zeitraum von fünf Jahren nach Inkrafttreten der neuen Regelungen. "In erster Linie sind das höhere Umsätze. Da aber auch Kostenentlastungen auftreten, dürften auch die Gewinne zunehmen", sagt Volker Treier, Außenwirt­schaftschef des DIHK. Er geht davon aus, dass das Abkommen spätestens bis zum nächsten WTO-Treffen im Herbst 2015 ratifiziert ist.

Absolut gesehen sind die 60 Milliarden Euro eine hohe Summe. Doch setzt man sie ins Verhältnis zum gesamten Export­aufkommen der deutschen Wirtschaft, bleibt der Beitrag überschaubar. "Zwölf Milliarden Euro pro Jahr sind bei einer Gesamtsumme des deutschen Exports von 1,2 Billionen Euro marginal", sagt Markus Zeiß, Berater des Aktienfonds LBBW Exportstrategie Deutschland (siehe Investor-Info).

Unter allen exportstarken Sektoren in Deutschland profitieren einige allerdings stärker von einem erleichterten Handel als andere. "Unternehmen, die ihre Waren mit dem Schiff oder Flugzeug tatsächlich um die Welt transportieren, haben von den Handelserleichterungen am meisten", sagt Zeiß. Der Fondsberater geht deshalb davon aus, dass Automobilhersteller und Maschinenbauer stärker profitieren werden als Chemieunternehmen, die große Teile ihrer Produktion bereits in die Schwellenländer verlagert haben.

Kritik am Abkommen
Nicht alle sehen das neue Abkommen positiv. Kritik kommt zum einen von Nichtregierungsorganisationen. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac sieht eine unfaire Bevorteilung der Industrieländer. "Das Bali-Paket nützt vor allem den Exportinteressen der Staaten des Nordens, besonders bei der Vereinfachung des Zollwesens", sagt Alexis Passadakis von Attac Deutschland.

Kritik kommt aber auch vom Direktor des Hamburgischen Weltwirt­schaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar. Beim Transfer von Dienstleistungen, beispielsweise im Ingenieurswesen, sei zu wenig erreicht worden. Dabei sei der internationale Dienstleistungshandel zum eigentlichen Schlüsselfaktor der Globalisierung geworden.

Die globale Einigkeit, die sich auf Bali zeigte, mag ein schönes Zeichen sein. Doch Abkommen zwischen einzelnen Staaten oder Regionen haben einen größeren Effekt. "Wenn Frau Merkel mit einer Wirtschaftsdelegation nach China fliegt, hat das stärkere Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft als ein Welthandelsabkommen", sagt Fondsberater Zeiß. Dementsprechend groß wird das Interesse an bilateralen Ab­kommen bleiben. Eines der weltweit wichtigsten geht in der kommenden Woche in die dritte Verhandlungsrunde: das Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP. Das Abkommen zwischen Europa und den USA soll den größten Freihandelsraum der Erde schaffen.

Wer letzten Endes durch das WTO-Abkommen gewinnen wird und wer nicht, mag umstritten sein. Doch ein Gewinner steht in jedem Fall fest: Es ist die Welthandelsorganisation selbst. Sie drohte infolge des jahrelangen Stillstands in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Jetzt hat sie sich mit einem Lebenszeichen zurückgemeldet. Zumindest das ist ein klar positives Zeichen.

Investor-Info

Krones
Exportweltmeister

Die WTO-Vereinbarung festigt den Aufschwung in den Schwellenländern. Afrika und China sind starke Wachstumstreiber im Geschäft des weltgrößten Herstellers von Getränkeabfüllanlagen. 90 Prozent des Umsatzes werden im Ausland eingefahren. Krones ist in 50 Ländern präsent. Nach der Platzierung eigener Aktien erwartet die DZ Bank bei Krones zwei Euro Sonderdividende pro Aktie.

HeidelbergCement
In Schwellenländern stark

Mit dem WTO-Vertrag haben die am wenigsten entwickelten Staaten besseren Zugang zu den Märkten, findet Indonesiens Handelsminister Gita Wirjawan. Sein Land hat die viertgrößte Bevölkerung der Welt. Für HeidelbergCement ist Indonesien der größte Markt in Asien. Der Zementhersteller ist in Schwellenländern besonders stark. Für 2014 sind dank Preiserhöhungen bessere Margen in Sicht.

German Global Export Zert.
Jenseits der Grenzen Europas

Mit dem Zertifikat auf den GLOBAX - German Global Export Aktienindex setzen Anleger auf die exportstärksten deutschen Konzerne. Aus den 100 größten Aktien werden die 30 Titel herausgefiltert, die einen besonders hohen Anteil ihres Umsatzes außerhalb Europas erwirtschaften. Emittentin des Zertifikats (ISIN: DE000DX9GL01) ist die Deutsche Bank, die jährliche Gebühr beträgt 1,5 Prozent. 

LBBW Exportstrategie Deutschland
Von Deutschland in die Welt

Der Aktienfonds LBBW Exportstrategie Deutschland investiert in hiesige Unternehmen, die einen hohen Exportanteil aufweisen. Fondsberater Markus Zeiß kauft vor allem DAX-Titel, kann jedoch kleinere deutsche Werte beimischen. Derzeit setzt er auf eine Erholung der europäischen Wirtschaft und dabei speziell auf die Automobilbranche. Folgerichtig hat diese mit 14,3 Prozent das höchste Gewicht im Fonds. Weil Exportaktien sehr zyklisch sind, müssen Anleger hohe Schwankungen aushalten können.

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