von Emmeran Eder, Euro am Sonntag

Zwei Frauen kämpfen im Macho-Land Brasilien um die Macht: Marina Silva, Kandidatin der sozialistischen Par­tei PSB, fordert Präsidentin Dilma Rousseff heraus. Die beiden Frauen werden wohl beim ersten Wahlgang am morgigen 5. Oktober die meisten Stimmen erhalten und sich bei der Stichwahl am 26. Oktober gegenüberstehen. Derzeit liegen Silva und Rousseff mit je 34 Prozent Kopf an Kopf, der drittplatzierte Aecio Neves ist abgeschlagen. Laut Umfragen läge Silva in einer zweiten Runde leicht vorn.

Der Erfolg der Senkrechtstarterin hat zwei Gründe: ihr ungewöhnlicher Lebenslauf und Rousseffs Unbeliebtheit. Silva war nur für den Vize­präsidentenposten ihrer Partei vorgesehen. Doch als der Spitzenkandidat Eduardo Campos im August bei einem Flugzeugabsturz starb, rückte Silva nach. Sie ist keine Unbekannte in der Politik des größten südamerikanischen Landes. Unter der Ägide des Expräsidenten Lula da Silva war sie Umweltministerin.

Doch die heute 56-jährige Ökoaktivistin fühlte sich als grünes Feigenblatt ohne Gestaltungsmöglichkeiten für den Umweltschutz missbraucht und trat 2008 zurück. Berühmt wurde damals ihr Ausspruch: "Es ist besser, den Job zu verlieren, als den gesunden Menschenverstand." Das passt zu Silvas Charakter: Sie gilt als skandalfrei und unbestechlich. Eigenschaften, die der korrupten Elite am Zuckerhut sonst abgehen.

Die dunkelhäutige Frau wuchs mit zehn Geschwistern bitterarm im Amazonas-Gebiet auf. Ihre Mutter starb früh. Sie selbst war als Kind oft schwer krank. Später arbeitete sie als Hausmädchen, lernte in Abendschulen Lesen und Schreiben und studierte Geschichte. Danach wurde sie Umweltaktivistin und ging in die Politik. Sie gilt im Volk als Kämpferin, die allen Widrigkeiten zum Trotz aufgestiegen ist.

Auch ihre Konkurrentin Rousseff ist eine schillernde Persönlichkeit. Sie attackierte in den 70er-Jahren als Guerillera das Militär­regime und wurde in der Haft gefoltert. Das brachte ihr lange Zeit Sympathien ein, doch der Bonus ist aufgebraucht. Sie steht nun für die seit 2003 regierende Arbeiterpartei, die in Korruptionsaffären verstrickt ist.

Offenbar haben sich Lula und sein Familienclan, wie mehr und mehr durchsickert, in seiner Regierungszeit schamlos bereichert. So soll der Staatskonzern Petrobras in Texas eine Raffinerie im Wert von geschätzten 400 Millionen für 1,2 Milliarden US-Dollar gekauft haben. Riesige Beträge sollen in die Taschen des Lula-Clans geflossen sein. Rousseff war damals Lulas rechte Hand und Aufsichtsratschefin von Petrobras.

Viele Sympathien verlor sie zudem während der wochenlangen gewaltsamen Proteste zum Confederation Cup 2013. Die Demonstranten forderten, das Geld statt für die Fußballweltmeisterschaft für den Ausbau von Nahverkehr und Bildungseinrichtungen auszugeben. Die frühere Freiheitskämpferin setzte Polizeigewalt gegen die Protestierenden ein.

Vor allem aber wird Rouseff die miese Konjunktur angelastet. Die Wirtschaft, die unter Lula jahrelang boomte, befindet sich seit ihrem Amtsantritt im Rückwärtsgang. Während es 2013 wenig­stens noch zu einem BIP-Plus von 2,5 Prozent reichte, wird für 2014 wohl nur ein Zuwachs von 0,5 Prozent stehen. Zusammen mit der Inflation von ­6,6  Prozent führt das zu einer Stagflation - stagnierende Wirtschaft plus hohe Inflation. Um die Preis­erhöhungen zu stoppen, hob die Zentralbank den Leitzins auf elf Prozent an, was die Wirtschaft abwürgt.

Das haben auch einige Ratingagenturen erkannt. Sie versahen Brasilien mit negativem Ausblick. Das Land droht den Investment-Grade-Status zu verlieren, was höhere Kosten für die Schuldenaufnahme bedeuten würde.

Der Staat strotzt nur so vor Pro­blemen, allen voran die hohe Korruption in Behörden und Staatskonzernen. Die Löhne klettern seit Jahren stärker als die Produktivität, die Immobilienpreise in den Wirtschaftszentren haben sich seit 2008 fast verdreifach, es fehlt wegen des ­unzureichenden Bildungssystems an qualifizierten Fachkräften. Die Infrastruktur ist marode.

Bedrohlicher Kreditboom
Neben Immobilien- drohen auch Konsumentenkredite zu platzen, da sich viele Bürger im Konsumrausch massiv verschuldeten. "Die Brasilianer leisten sich einen Lebensstandard, der nicht zur Leistungsfähigkeit ihrer Wirtschaft passt", kritisiert Manuel Schuster, Emerging-Markets-Profi bei der Raiffeisen Bank International (RBI). Er erwartet bei einem Wahlsieg Rousseffs ein Weiterwursteln ohne Strukturreformen. Sie werde wie eh und je auf hohe Zinsen und eine starke Währung setzen, um die Inflation zu senken. Eine Sparpolitik und die Beschneidung von Sozialprogrammen werden ihr gleichfalls nicht zugetraut, geschweige denn ein Feldzug gegen die Korruption.

Daher hoffen die Anleger auf Silvas Sieg. Sie will Infrastruktur und Bildung ausbauen sowie die Korruption eindämmen. Das geht einher mit einer Verbesserung der Effizienz öffentlicher Betriebe. Zudem will sie den Umweltschutz fördern. Das sind nicht nur Ankündigungen, sondern wegen ihres Lebenslaufs glaubhafte Ziele. Zudem beabsichtigt Silva, der Zentralbank mehr Freiheit bei der Inflationsbekämpfung zu lassen. Durch solide Sparpolitik soll der Staatshaushalt konsolidiert werden.

Für die Börsianer ist sie der Hoffnungsträger. Seitdem ihre Kandidatur öffentlich ist, steigt der Leitindex Bovespa. Er ist derzeit umfragegetrieben. Hellen sich die Wahlprognosen für Silva auf, legt er zu - und vice versa. Mit einer ähnlichen Politik machte Expräsident Fernando Henrique Cardoso in den 90er-Jahren die kriselnde Wirtschaft wieder fit.

Aber selbst falls Silva gewinnt, ist zweifelhaft, ob sie Reformen umsetzen kann. Ihre Partei hat nur eine knappe Mehrheit im Parlament, was sie zu Kompromissen zwingt. "Auch entstammt sie der zumindest früher konzernkritischen Umwelt­be­wegung und kandidiert für die sozia­listische Partei, in der wichtige Po­litiker ihre wirtschaftspolitisch vernünftigen Positionen nicht teilen", so Florian Schulz, Analyst beim Infodienst Emerging Markets Trader.

Trotzdem wird Silva von ihm ähnlich wie von Schuster favorisiert: "Sie hat zumindest eine Vision für das Land. Siegt dagegen Rousseff, wird sich die Stagnation fortsetzen", sagt Schuster. Die Börse sieht das ebenso. Der Bovespa stieg trotz mieser Wirtschaftsdaten seit März von 45.000 auf 56.600 Punkte - genährt nur von der Aussicht auf Rousseffs Abwahl.

Entschieden werden dürfte das Schicksal von Brasiliens Ökonomie und Börse letztlich in China. Dessen Rohstoffhunger war Haupttreiber von Boom und Bovespa. Bleiben die Rohstoffpreise im Keller, kann auch Silva keine Wunder bewirken.

Investor-Info

Brasilien
Schwache industrielle Basis

Brasilien, fünftgrößtes Land der Erde, hat 200 Millionen Einwohner. Es besitzt eine Fülle an Rohstoffen wie Eisenerz, Bauxit, Tantal, Diamanten sowie bedeutende Ölvorkommen. Zudem exportiert der Staat Agrarprodukte wie Soja, Zucker, Kaffee und Kakao. Neben Südamerikas Ländern sind China, die USA und die EU die Top-Handelspartner. Brasilien ist eines der Länder mit den größten Einkommensdifferenzen weltweit, was soziale Spannungen auslöst. Nach dem Boom von 2003 bis 2010 mit jähr­lichen hohen einstelligen Zuwachsraten stottert der Wachstumsmotor seit 2011. Die wichtigsten Sek­toren sind neben Dienstleistungen die Rohstoff- und Agrobusinessbranche. Die Industrie ist mit nur 17 Prozent BIP-Anteil unterrepräsentiert.

Lyxor ETF Brazil
Wette auf Silvas Wahlsieg

Spekulanten setzen mit Lyxors Bovespa-ETF auf Silvas Erfolg. Gewinnt sie am 26. Oktober die Stichwahl, dürfte das eine mehrwöchige Hoffnungsrally auslösen. Danach wird wohl Ernüchterung an der Börse São Paulo einkehren. Denn der Siegerin stehen Herkulesaufgaben bevor. Bleibt Rousseff im Amt, sind Kursrückgänge wahrscheinlich. Zumal die Aussicht auf ihre Ablösung die Kurse auf ein Niveau getrieben hat, das nicht zur Wirtschaftslage passt. Das 2014er-KGV von 17 ist ambitioniert.

KFW-Anleihe in Real
Hohe Zinsen einstreichen

Bei Anleihen, die in brasilianischen Real emittiert wurden, können Anleger hohe Kupons kassieren. Sie wirken als Ertragspuffer, sollte die Währung gegen den Euro schwächeln. Das Wechselkursrisiko scheint aber vertretbar: Analysten sehen den Real in nächster Zeit eher seitwärts laufen mit leichter Abwärtstendenz. Das Bonitäts­risiko ist bei der ­KfW-Anleihe gering.

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