Mangel an Corona-Impfstoff |
22.03.2021 20:12:00
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AstraZeneca-Aktie gewinnt: Vakzin in US-Studien zu 79 Prozent wirksam - kein erhöhtes Thromboserisiko - mögliches Exportverbot
Die EU-Kommission hatte bereits am Mittwoch neue Exportauflagen ins Spiel gebracht, Details aber offen gelassen. Nach ihren Angaben wurden seit 1. Februar mindestens 41 Millionen Dosen Impfstoff aus der EU exportiert, obwohl hier Impfstoff fehlt und Impfungen nur langsam vorankommen. Zehn Millionen Impfdosen aus der EU gingen den Angaben zufolge allein nach Großbritannien.
"Ich kann europäischen Bürgern nicht erklären, warum wir Millionen Impfstoffdosen in Länder exportieren, die selbst Impfstoff produzieren - und von denen nichts zurück kommt", sagte von der Leyen in dem Zeitungsinterview. "Wir sind offen, aber das muss verhältnismäßig sein und auf Gegenseitigkeit beruhen."
Der britisch-schwedische Hersteller Astrazeneca habe im ersten Quartal nur 30 Prozent der vereinbarten Menge geliefert. Vertraglich sei klar geregelt, dass die EU auch Astrazeneca-Impfstoff aus Fabriken in Großbritannien erhalte. "Von den Briten haben wir aber nichts bekommen, während wir ihnen Impfstoff liefern", sagte von der Leyen. "Wir haben die Möglichkeit, einen geplanten Export zu verbieten. Das ist die Botschaft an Astrazeneca: Du erfüllst erst deinen Vertrag gegenüber Europa, bevor du beginnst, in andere Länder zu liefern."
Astrazeneca wurde bereits Anfang März einmal ein Export verboten - Italien stoppte eine Lieferung von 250 000 Dosen nach Australien. Denn bereits seit 1. Februar gelten Exportkontrollen und eine Genehmigungspflicht. Es war der bisher einzige bekannte Antrag Astrazenecas, größere Mengen auszuführen. Will die EU wirklich mehr hier hergestellten Impfstoff behalten, müsste sie wohl auch auf andere Hersteller zielen. So liefert vor allem BioNTech/Pfizer Vakzine nach Großbritannien.
Dort löste von der Leyens Drohung mit neuen Exportauflagen Empörung aus. Die "Financial Times" schrieb, Premierminister Boris Johnson habe von der Leyen im vertraulichen Gespräch vor einem "Impfstoffkrieg" gewarnt. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace warnte die EU am Sonntag bei Sky News, es wäre kontraproduktiv, Impfstoffexporte zu stoppen: "Denn was wir sicher über Impfstoffproduktion wissen, ist, dass sie gemeinschaftlich abläuft." Auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller wandte sich in der "Ärztezeitung" gegen einen EU-Exportstopp, weil dies "die ganze Logistikkette ins Straucheln" bringen könnte.
Zuvor hatte der britische "Telegraph" gemeldet, Pfizer/Biontech beziehe wichtige Zutaten für die Produktion in der EU aus Großbritannien. Dies wurde am Wochenende aus EU-Kreisen auch bestätigt. Die EU ziele gar nicht darauf, Impfstofflieferungen an Großbritannien abzustellen, hieß es in Brüssel. Vielmehr gehe es um Gegenseitigkeit und Verhältnismäßigkeit. EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte der BBC: "Wir beliefern Großbritannien mit Impfstoffen, also bin ich der Meinung, dass es dabei nur um Offenheit und Transparenz geht."
Impfstoffe sind ein Topthema beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. Wegen stark steigender Infektionszahlen in Europa kann das Treffen der Staats- und Regierungschefs jedoch nicht in Brüssel stattfinden. EU-Ratschef Charles Michel plant stattdessen eine Videokonferenz, wie sein Sprecher am Sonntag mitteilte.
Großbritannien will Exportverbot abwenden
Im Streit um knappen Corona-Impfstoff gibt sich Großbritannien zuversichtlich, Exportverbote der Europäischen Union abwenden zu können. "Ich bin nach Gesprächen mit EU-Partnern in den vergangenen Monaten sicher, dass sie keine Blockaden wollen", sagte Premierminister Boris Johnson am Montag der Agentur Bloomberg. "Ich denke, das ist sehr, sehr wichtig." Die EU-Kommission stellte in Brüssel klar, dass auch sie eigentlich keine Exportverbote wolle. Doch müsse die EU bestellte Impfstoffe von Herstellern rasch und verlässlich bekommen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Wochenende vor allem dem britisch-schwedischen Hersteller AstraZeneca damit gedroht, Exporte zu verbieten. Die Firma hatte ihre Lieferungen an die EU einseitig drastisch gekürzt: Statt der ursprünglich anvisierten 120 Millionen Impfdosen sollen im ersten Quartal nur 30 Millionen kommen, im zweiten Quartal 70 Millionen statt 180 Millionen Dosen.
Grundsätzlich wirft die EU Großbritannien vor, keine Impfstoffe zu exportieren, selbst aber Lieferungen aus EU-Ländern zu nutzen. Nach Angaben aus EU-Kreisen gingen bisher rund 18 Millionen Impfdosen aus der EU ins Vereinigte Königreich. Derzeit hofft Großbritannien offenbar auf Nachschub von AstraZeneca aus einem Werk in den Niederlanden, zumal auch im Königreich Impfstoff knapp zu werden droht.
AstraZeneca selbst sagt fast nichts zu dem Konflikt. Vizepräsident Ruud Dobber erklärte auf Nachfragen nur, das niederländische Werk spiele kaum eine Rolle in der Lieferkette. "Wir geben unser Bestes, alle Dosen an die Europäer zu liefern", sagte Dobber.
Johnson sagte im nordenglischen Preston, Großbritannien werde sein Impfprogramm mit voller Kraft fortsetzen. Die Entwicklung und Herstellung von Vakzinen seien internationale Projekte, die internationaler Kooperation bedürften, betonte er. Der Premier will nach Informationen der BBC vor dem EU-Gipfel am Donnerstag unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron überzeugen, die Ausfuhr nicht zu blockieren. Mit beiden soll der Premier bereits am Sonntag telefoniert haben.
Beim Gipfel sollen von der Leyens Vorschläge für weitere Exportbeschränkungen Thema sein. Bisher ist aber nicht klar, wie weit die Maßnahmen gehen könnten und wen sie genau träfen. "Auf die genauen Vorschläge müssen wir alle noch ein bisschen warten", sagte Kommissionssprecher Eric Mamer. Vorerst scheint von der Leyens Kalkül, möglichst schon mit der Drohung Regierungen und Hersteller zu Gesprächen über schnellere Lieferungen an die EU zu bringen.
Denn Exportbeschränkungen sind auch in der EU umstritten. Der irische Regierungschef Michael Martin wandte sich am Montag im Sender RTÉ strikt dagegen: "Ich bin sehr dagegen, ich denke es wäre ein sehr rückwärtsgewandter Schritt." Er warnte davor, wegen des Problems mit AstraZeneca die Lieferketten anderer Impfstoffproduzenten wie Moderna und Johnson & Johnson zu untergraben.
Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange übte ebenfalls Kritik. "Das gibt nur Anderen einen Vorwand, Lieferketten zu unterbrechen", sagte Lange der Deutschen Presse-Agentur. Die Lieferprobleme bei AstraZeneca sollte die EU lieber mit Vertragsstrafen ahnden. "Da verstehe ich nicht, dass man die Kanone Exportkontrolle aus dem Keller holt", sagte der Handelsexperte. Der Chef des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck, Stefan Oschman, sagte dem "Handelsblatt": "Ein Impfstoffkrieg wird allen schaden."
Der CDU-Gesundheitspolitiker Peter Liese sagte der dpa hingegen: "Ich werbe seit Wochen für ein Exportverbot, weil dies das kleinere Übel wäre gegenüber der jetzigen Situation." Die dritte Corona-Welle mache die Lage dramatisch. "Die EU muss da mit harten Bandagen kämpfen, ähnlich wie Großbritannien und die USA." Liese fügte hinzu: "Dass der britische Premierminister Boris Johnson jetzt reden will, zeigt, dass der Druck funktioniert."
AstraZeneca-Impfstoff in US-Studien zu 79 Prozent wirksam
AstraZeneca hat mit seinem COVID-19-Impfstoff in den USA einen Studienerfolg erzielt: Das Vakzin habe sich in klinischen Studien mit mehr als 32.000 Teilnehmern als sicher und zu 79 Prozent wirksam bei der Verhinderung einer symptomatischen Erkrankung erwiesen, teilte der Pharmakonzern mit. Bei Teilnehmern im Alter von 65 Jahren und älter sei eine Impfstoffwirksamkeit von 80 Prozent nachgewiesen worden. Die Daten würden weiter analysiert, und der Konzern bereite sich darauf vor, in den kommenden Wochen eine Notfallzulassung zu beantragen.
Die in den USA durchgeführten Studien sind die bislang umfangreichsten Tests des Impfstoffs und könnten das Vertrauen in seine Anwendung stärken, denn in den US-Studien wurde kein erhöhtes Risiko für das Auftreten schwerer Blutgerinnsel festgestellt.
Nach Berichten über das Auftreten solcher Blutgerinnsel bei einigen Geimpften hatten Deutschland, Italien und andere europäische Staaten die Impfungen mit dem AstraZeneca-Vakzin vorerst gestoppt. Ein Zusammenhang mit der Impfung konnte jedoch nicht nachgewiesen werden und nach Einschätzung der Arzneimittelbehörden in der EU und Großbritannien überwiegt der Nutzen des Impfstoffs die möglichen Risiken.
Untersuchung findet kein erhöhtes Thromboserisiko
Eine neue Untersuchung hat nach Angaben von AstraZeneca kein erhöhtes Thromboserisiko durch den Impfstoff ergeben. Das Unternehmen teilte am Montag mit, eine unabhängige Expertengruppe habe keine Sicherheitsbedenken erhoben. Auch die konkrete Suche nach Blutgerinnseln im Gehirn, sogenannten Sinusthrombosen, habe keinen Treffer ergeben. Mehrere Länder, darunter auch Deutschland, hatten das Präparat zuletzt ausgesetzt, weil in wenigen Fällen nach der Impfung Thrombosen, also Blutgerinnsel, in Hirnvenen aufgetreten waren. In Deutschland kann das Mittel mittlerweile wieder gespritzt werden.
Die Phase-III-Studie mit etwa 32 500 Probanden in den USA, Chile und Peru habe zudem die hohe Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs bestätigt, betonte das britisch-schwedische Unternehmen. So schütze das Vakzin mit einer Wirksamkeit von 79 Prozent vor Covid-19, bei Menschen ab 65 Jahren liege dieser Wert sogar bei 80 Prozent. Das bedeutet, dass unter den älteren Probanden einer geimpften Gruppe 80 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als unter denen einer Kontrollgruppe. Die Wirksamkeit über alle Altersgruppen hinweg in Bezug auf schwere Krankheitsverläufe liege sogar bei 100 Prozent, teilte AstraZeneca mit.
Der Impfstoff namens AZD1222 wurde von AstraZeneca zusammen mit der Universität Oxford entwickelt. Er wird seit Januar in Großbritannien in großem Stil eingesetzt.
Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sprach von "weiteren guten Nachrichten". "Die Ergebnisse einer US-Untersuchung des Oxford/AstraZeneca-Vakzins beweisen deutlich, dass der Impfstoff sowohl sicher als auch höchst effektiv ist", twitterte Hancock. Das Unternehmen kündigte an, bei der US-Arzneimittelbehörde FDA eine Notfallzulassung zu beantragen.
Für AstraZeneca-Titel geht es im Handel in London zwischenzeitlich um 3,29 Prozent auf 73,44 britische Pfund nach oben.
BRÜSSEL / LONDON (dpa-AFX / Dow Jones)
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